Feist mit ziemlich viel Liebe im Gepäck live in Berlin | Konzertbericht

Feist live im Tempodrom Berlin Konzertbericht MUSIKMUSSMIT
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  • Beitrag zuletzt geändert am:25. Oktober 2018
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Feist hat im Tempodrom gespielt und hatte ziemlich viel Liebe im Gepäck.

Konzert am 24. Juli 2017 im Tempodrom in Berlin
Text und Fotos: Maria Preuß

Ich hatte sehr hohe Erwartungen an das Konzert von Feist am 24. Juli 2017 in Berlin. Ich hatte sie selbst noch nie live gesehen, kannte aber einige Live-Mitschnitte und war vor allem mehr als positiv überrascht von ihrem neuen Album „Pleasure“, mit dem sie nun auf Tour ist.

Ganze sechs Jahre hat sie sich Zeit gelassen, um auf die Bühne zurück zu kehren. Nach einer schmerzhaften Beziehung, die sie mit „Pleasure“ verarbeitet hat, scheint sie jetzt wieder Bock darauf zu haben, nach außen und ins Rampenlicht zu gehen, wie sie in einigen Interviews durchscheinen ließ. Ich war gespannt, wie viel von dieser bejahenden Einstellung beim Konzert spürbar wird. Das Tempodrom selbst mit seinen korrekten Richtlinien und Angestellten, die sich wundern, dass das Konzert gar nicht Punkt 20 Uhr startete sowie den ordentlichen Stuhlreihen strahlt nicht unbedingt Rock’n’Roll aus.

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Establish awesomeness!

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Feist hat keine Vorband. Irgendwie ist sie sich selbst ihr Support Act. Die ersten zwei Drittel des Konzertes spielt sie einfach ihr Album „Pleasure“ von vorne bis hinten durch. Angefangen bei dem Titeltrack, bei dem die Bühne ganz in Pink erstrahlt bis zum Closing Track „Young Up“. Zwischendurch bezaubert sie die ausverkaufte Halle mit Aufforderungen wie beim nächsten Titel („Any Party“) einen beliebigen Menschen im Saal eindringlich anzuschauen und die Lippen zu „I’d leave any party with you“ zu bewegen. Als nur ein, zwei Menschen kurz jubeln, fragt sie: „Und außer die drei Kanadier, was ist mit euch Deutschen?“. Die Lacher sind auf ihrer Seite und als sie am Ende von „Any Party“ zum Mitsingen motiviert („You could not sing or you could start right now to establish awesomeness in this show!“) und sich dabei für keine Albernheit zu schade ist, singen auch die letzten Mitvierziger mit.

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Feist live im Tempodrom

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Auf der Bühne prankt ein gehässiger Fächer

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Begleitet wird sie von ihrer Band, einem Drummer, einem Bassisten und einem Violinisten/Keyboarder, die Feist – im komplett pinken Abendkleid – gar nicht erst versuchen die Show zu stehlen. Alle zwei Songs wechselt sie von Konzert- zu E-Gitarre und begeistert mich wiederholt mit ihren Gitarrensolos. Das Bühnensetup ist simpel und wirkungsvoll. Die Rückwand besteht aus LED-Röhren, die mal warmes Sonnenlicht verstrahlen, aber meistens die gesamte Location in rosarotes Licht tränken. In der Mitte dieser Rückwand prankt ein riesiger Fächer, der sich mal öffnet und wieder schließt. Sagenhaft ironisch, denn selbst Feist sagt, sie hätte nie mehr geschwitzt als auf diesem Konzert.

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Das Publikum lässt sich nicht lange bitten

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Als das letzte Lied vom Pleasure-Album gespielt wird, beginnt der inoffizielle zweite Teil des Konzertes. Feist eröffnet die Tanzfläche: „Die seltsamen länglichen Flächen zwischen den Sitzen, das sind die Tanzflächen“. Das Publikum lässt sich nicht lange bitten und strömt von den Sitzen so nah an die Bühne wie möglich. Feist ordert ein Pärchen auf die Bühne um zu „Young Up“ im Engtanz die Show zu unterstützen. Wer jetzt nicht vor Liebe für diese Frau platzt, hat sein Herz schlichtweg zu Hause gelassen. Anschließend spielt sie ihre vergangenen Hits, wie „My Moon, My Man“, aber weniger süßlich, sondern mit dreckiger E-Gitarre. Zwei Frauen in der ersten Reihe erhaschen Feists Aufmerksamkeit und werden direkt auf die Bühne geholt, wo sie die beste Ausdruckstanz-Performance liefern, die ich je gesehen hab.

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Ich steh im Schweiß

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Der Abend entwickelt sich nun langsam zum Höhepunkt. Zu meinem Glück spielt sie ihr meines Erachtens stärkstes Lied, „The Bad In Each Other“. Danach weitere Songs, mit denen sie berühmt wurde und die sie abwandelt, um sie für ihr heutiges Ich passender zu machen. Im Lied „I Feel it All“ singt sie anstelle „I’ll be the one who break my heart / I’ll be the one who hold the gun“ im letzten Teil: „I’ll be the one who put it back together“. Danach verschwindet sie mit ihrer Band von der Bühne. Das Publikum klatscht und trampelt bis sie alleine wieder auf die Bühne kommt.

Sie erzählt über das nächste Lied, wie sie es damals in ihrer Hinterhof-Wohnung geschrieben hat, als Zukunftsvision und Zauberspruch: „It may be years until the day / My dreams will match up with my pay“. Es ist das Lied „Mushaboom“, das sie neben „1234“ berühmt gemacht hat. Letzteres spielt sie tatsächlich als Abschluss, zehn Jahre nach Veröffentlichung und Nicht-Spielens. Auf Reisen sei das Lied gegangen, erzählt Feist. Es hat viel erlebt und sich verändert und hat dann wieder an ihre Tür geklopft. Sie singt es langsamer und reduzierter, quasi als Reflektion über ihr damaliges Ich, das ungeahnt kurz vor seinem großen Durchbruch stand – „Old teenage hopes / Are alive at your door“. Das Publikum singt die bekannte „La La La“ – Melodie, der große Fächer auf der Bühne schließt sich und Feist verlässt im Gesang des Publikums die Bühne. Und ich steh im Schweiß und weiß nicht, ob ich vor Hitze zerfließe oder vor Liebe.

Maria

Musikalisch geprägt wurde ich von der Gitarre meines Vaters. Sie ist rot und hat keinen Namen. Mein Vater hat mit ihr Lieder von Neil Young gespielt. Wenn er selber gerade nicht spielen konnte, hörten wir seine Mixtapes auf langen Autofahrten nach Frankreich mit Musik von Tori Amos, Fiona Apple und Portishead. Wir waren immer das Auto, das mit runter gelassenen Fenstern durch die hügeligen Landschaften der Provence fuhren und die Lavendelfelder beschallten. Heute höre ich alles, was mich aus mitunter nicht nachvollziehbaren Gründen daran erinnert: Sufjan Stevens, Wolf Larsen, Feist, Whitney, Do Make Say Think, Agnes Obel, Alela Diane etc.

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