Review: Wilde Möhre Festival | Zwischen Kino, Wissenschaftshütte und Dancefloor

Festival Bericht Wilde Möhre MUSIKMUSSMIT Foto Friederike Suckert Märchenfloor
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  • Beitrag zuletzt geändert am:2. November 2018
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Wilde Möhre Festival vom 12.08.-14.08.2016
Text und Fotos: Friederike Suckert

Freitag Mittag das übliche Procedere: Schlafsack und Isomatte ins Auto gestopft, bei Kaufland Fünf-Minuten-Terrine und Dosenbier besorgt und ab Richtung Drebkau zur “Wilden Möhre”. Die Mischung aus Workshops, Lesungen und Tanzmusik ist rar in der Festival-Landschaft und so musste das meinerseits ausgecheckt werden.

Kleines Gelände – Viele Möglichkeiten

Kurz nach Ankunft kam ich in den Genuss einer Privatführung. Marion hat mir die Floors, Workshop-Spaces und Wisschenschaftshüttchen gezeigt und mir ein wenig über das Herzensprojekt „Möhre“ erzählt.

Jeder Floor oder Workshop wurde von einem Kollektiv erdacht und aufgebaut, Leute aus Köln, Freiburg, Berlin oder Jena waren dabei. Es gab so schöne Namen wie „Kleiner Puppenräuber“, benannt nach dem Käfer, der sich von der wilden Möhre ernährt. Der „Wildschreck“ ist aus den Ängsten, dass das Fest die Tiere verscheuchen könnte, des örtlichen Jägers entstanden. Manche Kleinode hatten gar keine Namen, weil die Macher und Macherinnen spontan angereist sind und etwas aufgebaut haben. Von Tape Art bis zu einem interaktiven, musikmachenden Dancefloor war einiges geboten. Nicht zu vergessen die Wissenschaftshütte, das Kino und der Floor für die Meditations- und Entspannungsworkshops. Mit dem Märchenwald wurde der Chillaxing-Vielfalt die Krone aufgesetzt: auf nachgebauten Themenbetten konnte man Hörspielen lauschen und einfach runterkommen. Alles nah beieinander, in einer halben Stunde war jedes wunderschöne Eckchen erkundet.

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Interaktiver Dancefloor

Musikalisch rund ging es auch: von Hip Hop bis Techno über Singer/Songwriter_innen war jedem Geschmack etwas geboten. Da ich kaum jemanden vom LineUp kannte, hab ich abends jede Bühne besucht um zu gucken, wo der Tanzfuss steppen will.
Smith&Smart haben mal richtig schön old school gezeigt, was an den Plattentellern und dem Mikro geht. In alter Kreuzberger Manier sind die Texte politisch, dafür hat sich das Einregnen lassen definitiv gelohnt. Danach gab´s Steffen Bennemann, Noise Colors und Ian Late. Von allem ein bisschen. Wir sind aber ziemlich schnell pennen gegangen, wir waren wahnsinnig müde.

Der Samstag erfreute uns mit fabelhaftem Wetter und so sind wir zum See gelatscht. Auf dem halbstündigen Weg dorthin gab es eine Bieroase, die mit Gurkenradler lockte. Da ich ja jeden Scheiss kosten muss, hab ich mir auch da ein Fläschchen gezischt und es war sooooooooo gut. Am See war es dann so richtig voll, der Ballermann ist da ja exklusiver Spa-Bereich. Das ist jetzt aber Gejammer auf hohem Niveau: Baden gehen ist geil und macht jedes Festival schöner.

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Meditations Space

Women to the top.

Auf dem Heimweg gab es nochmal das köstliche grüne Gebräu, Nudeln mit Pesto und ein ausgedehntes Nickerchen. Dann sind wir ab zum Kraut und Rüben-Floor um das weibliche DJ-Team Das She Cray zu sehen. Die brachten alle Booties zum shaken mit ihren HipHop und Trap Samples. Das VJ-Team Blank Minds war auch großartig, aber wir haben uns dann doch lieber wieder die Berliner DJ Lenki Balboa angehört, die gern mal zur Polit-Party Hot Topic im SchwuZ ihren Senf abgibt und auch auf der Möhre viele weibliche Hip-Hopperinnen im Repertoire hatte. Es war großartig, das fanden nicht nur wir. Nach diesem tollen Set sind wir noch weiter rumgestromert, haben mal hier und da etwas Techno mitgemacht, aber um fünf Uhr morgens war es dann Bettchenzeit.

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Lichtkunst

Am nächsten Morgen wollte ich mir die Kräuter-Bestimmungs-Wanderung anschauen, aber die fiel aus. Sehr sehr schade, denn all die anderen tollen Workshops habe ich verpasst. So haben wir langsam unsere Zelte abgebrochen und sind Richtung Heimat, zu knülle um noch einen Tanzschritt auszuführen.

Zwei Herzen schlagen in meiner Brust.

Mein Fazit ist recht durchwachsen. Ich weiß, dass da sehr viele Leute seit April mit sehr viel Liebe ihrer Kreativität freien Lauf gelassen haben. Jeder Bereich ein Highlight. Allein für die Workshops gab es zehn Booker, jede_r durfte seine gute Ideen einbringen. Die Lichtkünstler_innen des Fusion Festivals und Nation of Gondwana haben mitgemacht und das hat man auch gesehen. Die Musik war toll, sobald der Floor gefunden war, auf den man sich wirklich einlassen konnte. Die Leute waren entspannt und das Essen vielfältig und super lecker. Es gab viele Trinkwasserspots und Toiletten, ich habe nie länger als fünf Minuten gewartet.

Jetzt kommt dieses eklige „Aber“: 110€ für eine Veranstaltung ohne richtige Main Acts ist eine Menge Schotter. Dazu kommen 20€ Maut und dann muss man den Kram aus dem Auto rausholen und zum Campingplatz schleppen. Ich glaube, wenn ein Auto geklaut werden würde, hätte es niemand bemerkt. Glasflaschen waren ja auf dem Gelände verboten, das wussten wir. Nur wurde nicht erwähnt, dass Dosen auch nicht okay sind und das hätten wir gern vorher schon beim Einkauf gewusst. Die Kosten schrauben sich so immer mehr in die Höhe und so wird das doch langsam eine Liebhaberangelegenheit. Klar, statt Müllpfand hätte man gleich das Ticket für nächstes Jahr für 65€ haben können, aber so verkatert wollten wir keine Entscheidungen treffen.

Es ist und bleibt eins der schönsten Festivals, die ich je besuchen durfte und ich weiß, dass das Geld (welches ich ja nicht zahlen musste) an coole Projekte geht, Baumaterial, Pacht und die Gemeinde bezahlt werden müssen, aber ich persönlich glaube nicht, dass ich nächstes Jahr so viel bezahlen möchte und auch kann. Trotzdem kann man natürlich auf die Helfer-Schichten zurückgreifen und wenn man da Lust drauf hat, dann ist ja eh alles gut.

Friederike

In einer Höhle voller Bücher von Plattensammlern aufgezogen, sozialisiert in idyllischer Randbezirkplatte durch ABBA, Elvis und Nirvana, schulternwippend in die Kaschemmen und Tanztempel der Stadt gewankt, bin ich jetzt graduierte Popnutte. Schon immer eher Beobachterin als Macherin, frage ich, was die Entscheidung für das Künstlerleben so mit sich bringt.

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