Konzert am 25. Februar 2017 im Astra Berlin
Text und Fotos: Yvonne Hartmann
Als ich anfing diesen Artikel zu schreiben, wusste ich es wird ein längeres Vergnügen. Information – Overload! Wo fange ich an bei einer Ausnahmeband, die nach über 20 Jahren Bandgeschichte immer noch weltweit Hallen füllt, deren Fangemeinde so immens wie vielfältig ist und genau das repräsentiert wofür sie seit den 90er Jahren stehen: Gleichberechtigung aller Menschen ungeachtet ihrer Herkunft, ihres Geschlechts oder sexuellen Vorlieben. Vielleicht fange ich am besten am Anfang an…
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Als Underdogs in den Britrock-Olymp
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Inspiriert von amerikanischen Bands wie Rage Against the Machine, Nirvana und Pearl Jam, fingen Skunk Anansie Mitte der 90er Jahre an sich ihren Weg in den Britrock-Olymp zu pflastern. Ihr lebendiger Sound mit schlagkräftigen Gitarrenriffs, politisch geladenen Songs und Skins herausragender Stimme machten sie schnell bekannt, wobei sie sich selbst lange als „Underdogs“ (Außenseiter) der Szene bezeichneten – ihr Stil schien zu hart für die Britpop-Szene und zu originell für den aus den USA importierten Grunge. Mit brutal ehrlichen, sozial-politischen Texten erheben sie seit ihrer Gründung 1994 ihre Stimme gegen Faschismus („Baby Swastika“) und Dogmen („Selling Jesus“) und zogen mit der taffen Frontfrau Deborah Anne Dyer alias Skin in einem damals noch stark von Männern dominierten Genre die Aufmerksamkeit auf sich.
Schnell entwickelte sich die aus Brixton stammende, kahlköpfige Sängerin zu einer der schillerndsten Figuren des Rockbiz, Fashionikone und Musikaktivistin. Sie stand bereits im Duett mit Pavarotti auf der Bühne und performte mit der Band auf Nelson Mandelas 80. Geburtstag.
Nach 20 Jahren Bandgeschichte (die zeitweise für diverse Soloprojekte unterbrochen wurde), über 4 Millionen verkauften Platten und 7 ausverkauften Tourneen rund um den Globus denken die Brit-Rock-Veteran_innen noch lange nicht an den Ruhestand. Ihre Musik entwickelt sich ständig weiter, wird grooviger und setzt seit ihrem letzten Album „Black Traffic“ immer wieder auch auf elektronische Beats. Trotzdem geht der punkige Skunk Anansie Unterton und der sozialkritische und politische Blick nicht verloren. Ihr 6. Album „Anarchitecture“, mit dem sie gerade auf Europa Tour sind, reflektiert mit einem Wortspiel aus Anarchie und Architektur die aktuelle, bittere Realität unserer Gesellschaft: in einer scheinbar geordneten Welt kann jederzeit das Chaos ausbrechen, sowohl auf persönlicher als auch auf öffentlicher Ebene.
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Zwei Stunden Ausnahmezustand im Astra
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Seitdem ich Skunk Anansie das erste Mal 2000 auf dem Bizarre Festival gesehen habe gehören sie zweifellos zu meinen Live-Favourites. Auch wenn sie heute nicht mehr regelmäßig auf meinem Musikradar erscheinen, lasse ich mir dennoch keine Gelegenheit entgehen eine ihrer Shows zu sehen. Umso größer war die Freude über die Möglichkeit ihr Berlin-Konzert mit meiner Kamera festhalten zu dürfen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich allerdings noch nicht, wie großartig der Abend wirklich werden würde…
Letzten Samstag ging es also ins ausverkaufte Astra. Leider kam ich erst zum Ende des Sets von Support-Act The Pearl Harts – zwei Londoner Girls, die auf der Bühne mit ihrem Rock und Heavy Blues eine energiegeladene Show abzuliefern schienen.
Pünktlich um 20:30 betraten Skin (Vocals), Richard Keith Lewis alias Cass (Bass), Martin Ivor Kent alias Ace (Gitarre) und Mark Richardson (Schlagzeug) die Bühne und von diesem Moment an stand der Saal dann richtig unter Strom. Unterstützt wurden sie von Erika Footman (Keyboard/Background Vocals). Schon mit dem Opener „And Here I Stand“ peitschte mir im Fotograben der Bass ohne Erbarmen einmal durch den ganzen Körper, der Sound also ASTRAin. Die nächsten zwei Stunden ging die Band, und vor allem Skin, nicht ein mal vom Gas. Das scheinbar alterslose Energiebündel tobte wie ein Wirbelsturm über die Bühne und zog das Publikum in einen Sog aus Nostalgie und Ektase. Dabei strahlte sie diese Passion und Authentizität aus, die ich schon von früheren Skunk Anansie Gigs gewohnt war.
Ob beim Crowdsurfing oder am Absperrgitter, Skin suchte während der Show immer wieder die Nähe zum Publikum, ging sogar einmal bis in die Mitte des Saales, um ein Foto von sich und den Fans zu machen. Dass sie keine Berührungsängste haben und sich trotz des Erfolges wie Normalsterbliche verhalten, habe ich vor einigen Jahren schon beim Serengeti-Festival festgestellt. Dort standen einige Bandmitglieder nach ihrem eigenen Auftritt plötzlich mitten auf dem Festivalgelände hinter mir, um sich den Gig von Chase & Status anzusehen.
Zu Skins unglaublich facettenreicher Stimme braucht man wohl nicht mehr viel zu sagen. Hart und rebellisch wie in „I Will Break You“ lässt sie dennoch Raum für zarte, melodische Balladen wie „You’ll Follow Me Down“. Mich persönlich reizt das Rebellische, und so fühlte ich mich bei „Yes It’s Fucking Political“ headbangend inmitten einer kunterbunten, ausrastenden Menschenmenge am wohlsten. Bei Crossover-Hymnen wie „Hedonism“ oder „Brazen“, die einmal quer durch den Saal hallten, schlichen sich allerdings auch bei mir ein paar nostalgische Momente ein.
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Es ist nicht die Zeit für politische Enthaltsamkeit
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Aber sie wären nicht Skunk Anansie, wenn sie nicht auch mit einer Message gekommen wären. Nicht nur mit ihrer Musik wollen sie ein Zeichen setzen, sie kamen mit einem Aufruf zu politischem Engagement gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie und Xenophobie. Mit Blick auf die politischen Entwicklungen in der westlichen Welt „ist es nicht die Zeit unpolitisch zu sein!“ ermahnt Skin das Publikum. Mit einem tiefempfundenen „RESIST!“ verabschieden sie sich schließlich gegen 22:30 Uhr von einem elektrisierten Berliner Publikum.
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Gehe nicht über Los, sondern direkt Backstage
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Mein Abend sollte hier allerdings noch nicht enden, denn es ergab sich zu meiner Überraschung kurzfristig die Gelegenheit einen Abstecher in den Backstage Bereich zu machen. Mit Bassist Cass, Gitarrist Ace und Freund_innen der Band ging der Abend dort noch in lockerer, ausgelassener Stimmung weiter. Skin schien sich die zwei Stunden maximale Schubkraft auf der Bühne unter der Dusche kurz von den Schultern gewischt zu haben – sie kam mit der Energie eines Teenagers in den Raum gesprungen. Der Applaus aller Anwesenden (und der etwas steril wirkende Raum) riefen bei mir den Teamspirit aus alten Handballzeiten in Erinnerung. Nach ca. 10 Minuten war sie allerdings genauso schnell wieder verschwunden. Verständlich, denn die Band sollte am gleichen Abend noch nach Dänemark aufbrechen.
Mit Cass haben wir bei dem einen oder anderen Gläschen in kleiner Runde noch eine Weile geschnackt – über Politisches, Musikalisches und Alltägliches. Man hatte das Gefühl auf einer großen Familienfeier gelandet zu sein. Und genauso bezeichnen sich auch Skunk Anansie nach so langer Zeit: als eine große Familie. Um 0:00 Uhr war die Party leider vorbei, denn der Motor vom Tourbus lief schon und nahm Kurs auf Kopenhagen.
Ein epischer Abend mit unverhofftem Meet and Greet neigte sich dem Ende und ich kann sagen, die Shows der Brit-Rocker sind für mich auch nach 20 Jahren noch ein Must-See-Spektakel. Wenn ihr noch Zweifel habt, könnt ihr euch gerne eine zweite Meinung von meiner Kollegin Corinna einholen. Sie hatte letztes Jahr das Vergnügen und darüber berichtet.
Diskographie:
1995 – Paranoid and Sunburnt
1996 – Stoosh
1999 – Post Orgasmic Chill
2010 – Wonderlustre
2012 – Black Traffic
2016 – Anarchytecture