Entspannte Musik – entspannte Menschen
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Konzert am 27. Januar 2018 im Funkhaus Berlin
Text und Fotos: Katharina Blum
Das Label Erased Tapes aus London hat vor kurzem im Funkhaus Berlin sein zehnjähriges Bestehen gefeiert. Mit sieben Acts aus dem hauseigenen Repertoire.
Doors Open: 15 Uhr, Showtime: 16:30 Uhr. Ich komme 17 Uhr. Bis jetzt ist nur das Foyer des alten Rundfunkgebäudes in Treptow-Köpenick geöffnet und mit diesem Raum betrete ich einen optisch-klanglichen Kosmos der Ruhe und Ausgeglichenheit. Aus dem roten Dunkel strahlt am anderen Ende des Saales ein weißer Pullover: Masayoshi Fujita, der besonnen auf seinem Vibraphon spielt. Es ist so ruhig – Menschen wie Musik, am Rand sitzen ein paar Leute mit geschlossenen Augen, beim Reden hat man Angst, jemanden zu wecken. Ein schöner erster Act; die Gäste werden in aller Ruhe empfangen und können noch ein wenig träumen.
An der Wand hängt ein Timetable. Darauf sieben Künstler_innen hintereinanderweg ohne Pause. Es gibt Applaus und es wird schon recht eng im Foyer, man drängt zur Treppe.
Saal 1 wird vom angeblich schnellsten Pianisten der Welt eröffnet. Ich schaffe es gerade, ein Bier zu erstehen, der Saal ist schon gut voll. Robert Raths, der vor 10 Jahren diese wunderschöne Ansammlung an Musik in Form eines Plattenlabels gegründet hat, hält eine kleine Ansprache. Ein wenig Aufregung ist ihm unter dem Hippiepullover anzumerken, aber auch sehr viel Freude. Er kündigt nun den ältesten Künstler des Labels an.
Lubomyr erscheint im Orchestregraben und erzählt erst mal wessen Shirt er anhat. Ein sehr witziger Typ. Am Klavier ist er der Wahnsinn. Er schaut nach vorn oder hat die Augen geschlossen, seine Hände fliegen über die Tastatur und es klingt wunderschön. Sehr voll und mit verträumten und traurigen Melodien. Auch wenn ein Weniger manchmal mehr wäre. Ab und an kommt noch jemand zu ihm auf die Bühne und begleitet die Musik mit atmosphärischen Worten.
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Atmosphärisch bis experimentell
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Und dann geht es schon in den nächsten Saal. Der ist etwas kleiner und wir müssen zusammenrücken, damit wir vorn sitzen können. Und weil es a**** kalt ist. Robert Raths hält wieder eine kleine Ansprache und heißt „alle im Saal 2 aka Kühlschrank willkommen“. Keine Aufregung mehr, nur noch Herzlichkeit und dann verliert er sich in einer Anekdote über geklaute Fahrräder und seine Frau. Sympathischer Typ. Dann kündigt er die einzige Frau auf dem Label Anne Müller an. Anne hat schon viel mit Nils Frahm und anderen Künstlern zusammen gearbeitet, solo ist sie selten unterwegs. Deshalb etwas Besonderes hier und auch sie ist sympathisch und spielt allein mit ihrem Cello und einer Loopstation wunderschöne Lieder, die sie spannungsvoll aufbaut und tief gehen.
Robert Raths möchte mit der Ankündigung einer kleinen Pause noch dieses Frauenthema aufklären, da dieses in vor allem den letzten zwei Jahren immer mehr ein sensibler Fokus der Öffentlichkeit geworden ist und zählt all seine Vorbilder auf, die alle weiblich sind. Da kommt man schwierig raus – Quoten sind blöd und zu wenig Frauen im Musikbereich auch – aber das ist ein Thema für sich…
Die erste Frau auf den Erased Tapes gesellt sich jedenfalls nach der Pause noch zu der Band von Ben Lukas Boysen. Ein Drummer und eine Harfe plus eben Anne Müller begleiten die progressiven Klänge von Ben. Gegen Ende spielt er ein Stück zusammen mit dem Cellisten Sebastian Plano. Es hat viel von Filmmusik, weil sie eben so atmosphärisch-verträumt ist wie die der anderen Künstler_innen von Erased Tapes.
Es geht wieder in den großen Saal, wo nun Penguin Café spielt. Man sieht der Band an, dass da der Schalk im Nacken sitzt und sie Spaß beim Spielen haben. Dabei gibt es die Combo so ähnlich schon seit 40 Jahren. Mittlerweile sitzt der Sohn eines älteren Mitglieds am Klavier. Gespielt werden Songs von seinem Vater und neue Lieder von der ersten auf Erased Tapes erschienenen Platte letzten Jahres „The imperfect Sea“.
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Daniel Brandt, bekannt aus dem Berliner Trio Bandt Brauer Frick ist bei Erased Tapes mit seinem Projekt Daniel Bandt and the eternal something unter Vertrag. Sie spielen nach den Pinguinen wieder im Kühlschrank. Die Musik besteht hauptsächlich aus abgefahrenen Rhythmen und einem enormen Sound einer Posaune. Gegen Schluss wird es sogar etwas punkig. Die Leute fangen an, sich ein wenig zur Musik zu bewegen.
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Eine große glückliche Familie
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Last but not least wird der Abend von meinem Lieblingsmusiker Rival Consoles im großen Saal geschlossen. Der Brite, der eigentlich Ryan Lee West heißt, ist der elektronischste Part des Abends. Es ist dunkel und mit Einsatz von einem technoiden Beat beginnen Visuals auf einer überdimensionalen Leinwand vor der Orgel mit grellem Licht zu zucken. Das Publikum sitzt um den Orchestergraben herum. Nach und nach steht es auf um zu tanzen.
Ich habe ihn schon einige Male gesehen, aber das war bis jetzt der beste Auftritt und der perfekte Abschluss für einen solchen Tag. Und obwohl es einen massiven Input an Musik gab ist es eigentlich schade, dass das Ganze schon halb eins vorbei ist.
Mit der Geburtstagsfeier im Funkhaus hat das Label einen schönen Einblick in die Musik und auch etwas in das Miteinander zwischen Label und Musiker_innen und den Musiker_innen selbst gegeben. Die Bands haben auf Augenhöhe mit dem Publikum gespielt, die Stimmung war herzlich und warm und das Label erschien einem wie eine große glückliche Familie. Musikalisch hat sich trotz der Unterschiedlichkeit der Acts eine klangliche Linie heraushören lassen, die ich mal als avantgardistisch, experimentell-neoklassische Ambientmusik bezeichnen würde.