Die Musik von Nils ist so perfektionistisch komponiert, so komplex, wunderbar ästhetisch, dass sie ihresgleichen sucht.
Nils Frahm am 24. Januar 2018 live im Funkhaus Berlin
Text und Fotos: Claudia Dünckmann
Donnernder Applaus, Jubelschreie, Standing Ovation und der schüchterne Nils mittendrin.
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Nils Frahm hat just seine ausverkaufte Welttournee in Berlin gestartet und beim zweiten Auftritt von insgesamt drei Konzerten im Funkhaus bin ich dabei. Im größten Konzertsaal des alten Sendehauses passen knapp 300 Besucher_innen. Der Nils mag es also gemütlich und vor allem heimisch. Und das ist das Funkhaus in den letzten zwei Jahren für ihn tatsächlich geworden – sein Zuhause. Dort hat er Tag und Nacht verbracht und das neue Album „All Melody“ aufgenommen. Doch auch das ungewollte Kuscheln mit Fremden auf den großen Stufen bringt das gewisse Homefeeling. Einzig der Teppich unter dem Po fehlt. Bier und Wein gibt es dagegen zu Genüge, wie man sich das eben bei Nils Frahm im Wohnzimmer vorstellt.
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Der nette Junge von nebenan
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Ganz in grau gekleidet im Schlabberlook und fast schon unscheinbar betritt Nils pünktlich um 20:30 Uhr den Raum. Er könnte auch ein Zuschauer sein. Lediglich das Handzeichen zur Begrüßung entlarvt ihn als den eigentlichen Star des Abends. Anstatt gewohntem Drei-Tage-Bart und Strubbelhaare, nun Mütze und Gesichtsglatze. Irgendwie genau das Gegenteil von seinem Stammpublikum, aber genauso hipp. Die Besucher_innen sind irgendwas zwischen Prenzel- und Kreuzberger_innen, also der (Wahl-)Berliner mit der Tendenz zum Bartwuchs, eher dunkleren Klamotten und wenn schon Brille, dann aber bitte statement-like. Dass Nils jetzt nicht aufmerksamkeitslechzend aufschreit oder sich entsprechend aufregend kleidet, ist bekannt und es verleiht ihm sogar einen gewissen Charme. Er strahlt dabei so ein bisschen das typische Understatement der Brit_innen aus: Nein, so erfolgreich ist seine Musik gar nicht (Millionenklicks bei YouTube). Ja, die Welttournee läuft gut an (nach wenigen Tagen komplett ausverkauft). Mal sehen, wie das Publikum das neue Album findet (Musikkritiker_innen handeln es als das beste Album, was Nils je produziert hat). Und so weiter und so fort. In seiner bescheidenen Art steckt aber irgendwie ein Fünkchen Wahrheit drin, denn die meisten Deutschen haben den Namen Nils Frahm noch nie gehört. So zumindest die Reaktionen in meinem Freundeskreis: „Äh, zu wem gehst du?“
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Licht aus, Spot an!
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In dem wunderschönen Saal sitzen ich – schon eine Stunde wirklich unbequem auf hartem Parkett – und der Rest der Zuschauer_innen um Nils herum und können etwas erhöht auf ihn herunter schauen. Der Raumkonstruktion sei Dank! Die im Boden eingelassene Wanne beherbergt an der tiefsten Stelle die Rundbühne, auf der Nils seine wahrlich prachtvolle Sammlung unterschiedlichster Instrumente vor sich hat. Von allerlei Tasteninstrumenten bis hin zu unzähligen Mischpulten ist alles dabei. Beim ersten Anblick der vielen Instrumente habe ich mir noch gedacht: Ick dachte, der würde alleene ufftreten und nicht inner Band – buuuhhh! Wenige Minuten später taucht Nils (alleine!) auf und fängt sogleich an, wie ein schwingendes Molekül zwischen den vielen Maschinen zu schweben. Seine Hände fliegen über die Pianotasten, die Finger zupfen und drehen an den Reglern. Seine Augen sind – wenn möglich – stets geschlossen. Sein Körper wippt zum Beat und zuckt zu hohen Frequenzen. Zwar erfordert der Wechsel zwischen klassischer und elektronischer Musik viel Aufmerksamkeit, aber wenn mir das Fallenlassen erstmal gelingt, dann werde ich mit Gänsehaut-Attacken belohnt. Die Musik von Nils ist so perfektionistisch komponiert, so komplex, wunderbar ästhetisch, dass sie ihresgleichen sucht. Während er spielt, traue ich mich kaum zu atmen. Bin aber froh, wenn er dann doch mal eine kleine Redepause einlegt. Luft holen! Nils erzählt von seiner Aufregung, wie dankbar er sei, spielen zu dürfen und von seiner zweijährigen Produktionszeit für das neue Album. Viele Worte verliert er nicht, viel lieber spielte er. Und das, liebe Leute, kann er am besten!
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Standing Ovation
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Sein Konzert beendet Herr Frahm mit einem seiner bekanntesten Stücke „Says“ vom Album „Space“ (mein Lieblingslied). Schon bei den letzten Sekunden des Liedes hält es die Leute kaum auf den Stufen. Donnernder Applaus, Jubelschreie, Standing Ovation und der schüchterne Nils mittendrin. Nach kurzem Verschwinden, kommt er wieder zurück und gibt noch eine Zugabe: „For-Peter- Toilete Brushes-More“ auch vom Album Space. Das spielt er tatsächlich mit Toilettenbürsten auf den Stahlseiten des offenen Pianos. Er liebt es anscheinend, mit unkonventionellen Gegenständen experimentell herumzuspielen und damit Töne zu erzeugen. Bestimmt entspricht er dem Klischee eines Wunderkinds. Seine Mutter würde dann auf die Frage „Wann haben Sie das erste Mal bemerkt, dass Ihr Kind etwas Besonderes ist?“ wahrscheinlich antworten: „Der hat schon als kleiner Junge mit Klobürsten Musik gemacht!“ Großartig! Am Ende bleibt mir nur eins zu sagen: Nils Frahm ist ein grandioser Gastgeber, der einen unvergesslichen Abend zaubert und einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlässt. Das passiert selten!