Die belebten Beats und tiefen Vocals hören sich an wie der düstere Soundtrack über die ungewissen, dunklen Sehnsüchte nach einer größeren Welt, irgendwo da draußen.
Text: Isabel Zech | Fotos: Končír
Wir stellen euch heute das Musikprojekt Lotis Tyr aus Berlin vor, das dynamische Beats und markante Vocals mit halluzinierenden Soundscapes – beziehungsweise, wie die Musikerin es liebevoll nennt: Memoryscapes – verbindet.
Das Solo-Projekt hört sich alles andere als nach einer unscheinbaren Hintergrund-Musik in der Stammkneipe ums Eck an. Mit ihrer prägnanten Stimme erreicht Lotis Tyr genau das Gegenteil und kreiert eine energische und mysteriöse Stimmung, der man genau zuhören will, um jeden Fetzen Vocals, Beats und Bass in sich aufzusaugen. Ich habe mit Lotis Tyr über ihr Elektro-Projekt gesprochen, welches mit dem Release der Debüt-EP Intro im Herbst 2017 seinen ersten Schritt in die Öffentlichkeit wagte.
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Bevor sie als Lotis Tyr ihre musikalischen Visionen in Form eines Solo-Projekts vor drei Jahren ins Leben rief, war sie Teil des Elektro-Pop Duos Mont Royal, das sich kurz vorher aufgelöst hatte. Nach der Auflösung wurde ihr schnell klar, dass sie weiter Musik machen wollte. 2014 rief sie dann ihre neue Ein-Frau-Band ins Leben und benannte sich nach einer Figur aus der griechischen Mythologie und einem nordischen Gott, „Lotis“ und „Tyr“ (ausgesprochen: Lótis Teir).
Obwohl sie für ihr neues Projekt grundsätzlich alles alleine in ihrem „Bedroom-Studio“ produziert, arbeitete sie zeitweise auch mit einigen Musiker*innen gemeinsam an Mixing, Mastering und dem Artwork. Viele helfende Hände haben sie bei ihrem Projekt unterstützt und ihr unter die Arme gegriffen:
„Eine weitere wichtige Voraussetzung, um voranzukommen, war aber sicherlich: Verbündete finden, die einem helfen, wenn man nicht weiterweiß. Und vor allem auch mit viel Mut zur Lücke einfach erst einmal machen, machen, machen! […] Es waren also letztendlich viele, viele kleine Schritte und einige unverzichtbare helfende Hände, die dazu führten, dass „Lotis Tyr“ vom bloßen Traum zum realen Projekt avancierte.“
Ihre Songs schreibt sie selber, beeinflusst von unterschiedlichen Musikrichtungen und Künstler*innen wie Mica Levi und Tirzah. Generell greift sie aber gerne auf ihre angesammelte Musikkiste zurück, in der „z.B. E-Gitarren, Synths und HipHop- oder Techno-Beats aufeinander treffen“. Neben unterschiedlichen Namen und Künstler*innen wird sie jedoch am allermeisten von den kleinen, unbekannteren Acts und Musiker*innen in ihrer Umgebung inspiriert, „d.h. Menschen, die kontinuierlich an ihrer künstlerischen Vision weiterschrauben, ohne dass sie die Miete davon zahlen können.“ Dem können wir nur wild kopfnickend zustimmen.
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Es geht mir um die Gesamtkonstellation des Songs, also vor allem um das Zusammenspiel von Musik und Text. Das eine sollte das andere bedingen und sinnvoll unterstützen.
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Die junge Musikerin erzählt uns, um was es in ihrer Musik geht und weswegen wir sie unbedingt mal live sehen wollen (und sollten): „Das Zusammenspiel von Visuellem und Akustischem ist mir extrem wichtig, weshalb ich bei Live-Shows auch Visuals einsetze, die ich selber konzipiere und in Zusammenarbeit mit einem Kollegen produziere.“
Bei dem weitreichenden Genre Elektro denkt man in erster Linie an den Sound und die Beats, die Vocals stehen dabei häufig im Hintergrund. Lotis Tyr beschäftigt sich neben den Visuals und dem starken Soundteppich aber auch mit Texten, die Tiefe, Persönlichkeit und gesellschaftlichen Background haben:
„Ich schweife […] weniger in die Ferne, sondern verarbeite in meinen Songs Erlebnisse, die mir widerfahren sind oder Gefühle, die mich beschäftigen.[…] Das Politische bzw. Gesellschaftliche steht aber für mich hierbei in keinem Gegensatz zum Privaten, denn besonders reizvoll finde ich es, wenn die Übergänge fließend sind, d.h. wenn man den persönliches Bezug zum Gesamtgesellschaftlichen heraushört. Bei meinem Song „Vanitas“ -der einzige Song bisher, der thematisch über das Private hinausweist- habe ich versucht, eben dies zu tun: Der Track kreist um das jahrtausendealte Thema der Vergeblichkeit, also der Sinnlosigkeit unserer Existenz, gleichzeitig beziehe ich an zwei Stellen diese Frage der Vergeblichkeit auf eine konkrete romantische Liebe, was dann in diesem Fall den Bezug zum Privaten herstellt.“
Ihr nächstes großes Ziel: „Live auftreten! Live auftreten und nochmal live auftreten! […] Ich freue mich riesig darauf, zu singen, zu spielen und meine Visuals zu zeigen!“ Wir hoffen, dass etliche Auftritte mit ihrer neuen EP Intro folgen. Das komplette Interview mit Lotis Tyr könnt ihr hier nachlesen.
Wie und wann hast du angefangen Musik zu machen?
Schon als Kind habe ich gerne mitgesungen, wenn meine Eltern ihre Opern-Schallplatten aufgelegt haben. Als Teenager kamen dann ein paar Jahre Klavierunterricht und Singen im Chor hinzu, mit dem wir u.a. Mozarts „Requiem“ und Bachs „Johannes Passion“ aufgeführt haben. Aber ein eigenes Musikprojekt im Sinne einer Band hatte ich erst ab 2011 als ich Teil des Duos „Mont Royal“ wurde. Wir haben zu zweit Elektro-Pop produziert. Für mich waren das Lehrjahre, von denen ich heute noch in vielerlei Hinsicht profitiere.
Wie kam es zur Gründung von deinem Soloprojekt?
Nachdem die Band sich 2014 aufgelöst hatte, wurde mir innerhalb von ein paar Monaten klar, dass ich unbedingt weiter Musik machen muss. Und die Vorstellung, diesmal ein Soloprojekt auf die Beine zu stellen, bei dem ich meine ganz eigene musikalische Vision verwirklichen kann, kam mir sehr entgegen. Das hörte sich aber erst einmal einfacher an, als es war, denn auch wenn ich tausend Ideen hatte, so fehlte mir damals das Know-how, diese umzusetzen. Also hieß es erst einmal, sich in die Musikproduktion via DAW einarbeiten. Eine weitere wichtige Voraussetzung, um voranzukommen, war aber sicherlich: Verbündete finden, die einem helfen, wenn man nicht weiterweiß. Und vor allem auch mit viel Mut zur Lücke einfach erst einmal machen, machen, machen! (Denn korrigieren kann man später immer noch, gerade in unseren digitalen Zeiten.) Es waren also letztendlich viele, viele kleine Schritte und einige unverzichtbare helfende Hände, die dazu führten, dass „Lotis Tyr“ vom bloßen Traum zum realen Projekt avancierte.
Gab es ein Ereignis mit dem dein Soloprojekt ins Rollen kam?
Wie gesagt war eher das Prozesshafte, also das kontinuierliche Arbeiten, für die Entstehung und Entwicklung von „Lotis Tyr“ ausschlaggebend, aber ich würde sagen, dass der Release meiner Debüt-EP „Intro“ im Herbst 2017 ein wichtiger Meilenstein für alle Beteiligten war. Auch wenn ich Ende 2014 ganz alleine den ersten Ton der allerersten Songskizze angeschlagen hatte, so kam in den darauffolgenden 3 Jahren eine Handvoll treuer Wegbegleiter hinzu, die sich um Mixing, Mastering und auch um das Artwork kümmerte. Es war dann aufgrund der Tatsache, dass es mitunter auch ein langwieriger, steiniger Weg war, ein tolles Gefühl, das letztendlich gemeinsam Erschaffene in die Welt hinaus zu schubsen. Und es war nach all der Zeit sehr wichtig für mich, endlich Feedback für das zu bekommen, woran ich bisher im stillen Kämmerlein, d.h. im Bedroom Studio, gebastelt hatte.
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Mit welchen Themen beschäftigst du dich in deiner Musik?
Da ich ursprünglich aus dem Filmbereich komme, habe ich eine DrehbuchautorInnen-Faustregel von dort übernommen: Schreib über das, was Du kennst. (Ja, wie bei jeder anderen Regel gibt es auch hier Ausnahmen.) Ich schweife also weniger in die Ferne, sondern verarbeite in meinen Songs Erlebnisse, die mir widerfahren sind oder Gefühle, die mich beschäftigen. Man kann schon sagen, dass meine Texte größtenteils um das Private kreisen, wobei ich mir aber gut vorstellen kann, in Zukunft auch Songs zu schreiben, in denen Gesellschaftliches und Politisches stärker einfließen.
Das Politische bzw. Gesellschaftliche steht aber für mich hierbei in keinem Gegensatz zum Privaten, denn besonders reizvoll finde ich es, wenn die Übergänge fließend sind, d.h. wenn man den persönliches Bezug zum Gesamtgesellschaftlichen heraushört. Bei meinem Song „Vanitas“ -der einzige Song bisher, der thematisch über das Private hinausweist- habe ich versucht, eben dies zu tun: Der Track kreist um das jahrtausendealte Thema der Vergeblichkeit, also der Sinnlosigkeit unserer Existenz, gleichzeitig beziehe ich an zwei Stellen diese Frage der Vergeblichkeit auf eine konkrete romantische Liebe, was dann in diesem Fall den Bezug zum Privaten herstellt.
Ist dir der Text genauso wichtig wie der Sound oder geht es dir eher um die Gesamtkonstellation eines Songs?
Es geht mir um die Gesamtkonstellation des Songs, also vor allem um das Zusammenspiel von Musik und Text. Das eine sollte das andere bedingen und sinnvoll unterstützen. Andernfalls lasse ich evtl. Lyrics ganz weg wie bei meinem Track „Intro“, wo ich nie an Lyrics gedacht habe. Jetzt wo ich darüber nachdenke, könnte ich mir auch umgekehrt vorstellen, einen gesprochenen Text, so etwas wie ein Gedicht also, aufzunehmen und so zu lassen, wenn es dem Text dienlich ist. Auch spannend!
Wie läuft das bei dir ab, wenn du an einem neuen Song arbeitest?
Das kann ganz unterschiedlich ablaufen: Mal fällt mir eine Textzeile oder ein Thema ein, über das ich gerne einen Song schreiben würde, mal kommt mir eine Melodie in den Sinn, die ich dann schnell per Diktiergerät im Smartphone festhalte. Manchmal sitze ich aber auch mit meinem Midi-Keyboard am Rechner und haue einfach in die Tasten bzw. probiere Sounds aus. In jedem Fall halte ich die jeweilige Idee aber sobald wie möglich am Rechner fest und baue sie dann nach und nach aus. Meist arbeite ich parallel an mehreren neuen Songskizzen – momentan sind es drei – wobei ich mich aber dann auch oftmals selber bremsen muss, um nicht mit zu vielen neuen Songs auf einmal anzufangen. Sonst sitzt man irgendwann mit ganz vielen Skizzen da, anstatt einzelne Songs weiterzuentwickeln und rauszubringen.
Welche musikalischen Vorbilder haben dich geprägt und inspiriert?
Schwierige Frage, denn es gibt so viel Musik, die mich inspiriert, beflügelt und durchs Leben begleitet hat, aber ich glaube, ich bin kein Mensch, der in dem Sinne Vorbilder oder Idole hat. Es wird für mich immer deutlicher, dass ich musikalisch durch ganz unterschiedliche Musikrichtungen geprägt wurde, die in sogenannte Soundscapes einfließen, d.h. Klanglandschaften, in denen z.B. E-Gitarren, Synths und HipHop- oder Techno-Beats aufeinandertreffen (da dies zum Großteil Klänge aus meiner Jugend sind, nenne ich sie auch „Memoryscapes“).
In diesem Zusammenhang fällt mir eine Künstlerin ein, die eine irre Schaffensbandbreite hat und gleichzeitig alle Genres in ihren eigenen Kosmos einsaugt und somit trotz unverkennbarer Anklänge immer wieder etwas ganz Eigenes schafft: Mica Levi! Von dieser Person bin ich immer wieder fasziniert. Hört Euch die Soundtracks zu „Under the Skin“, „Jackie“, aber auch das Album „Devotion“ von Tirzah an!! Ich freue mich schon auf ihre weiteren Arbeiten!
Darüber hinaus beeindrucken und inspirieren mich jedoch am meisten sog. „kleine Acts“ bzw. KünstlerInnen aus dem eigenen Umfeld, d.h. Menschen, die kontinuierlich an ihrer künstlerischen Vision weiterschrauben, ohne dass sie die Miete davon zahlen können. Auch wenn ich den Drang kenne, komme was wolle, weitermachen zu müssen mit der Musik, weiß ich aber auch, wie hart es zeitweise sein kann, wenn die Resonanz ausbleibt. An meiner Pinnwand hängt ein Zitat von Virginia Woolf: „Money dignifies what is frivolous if unpaid for.“ Leider leben wir weiterhin in Zeiten, in denen Tätigkeiten erst dann als legitim erachtet werden, wenn sie etwas „einbringen“, also etwas erwirtschaften.
Ich finde, dass Berlin ein gutes Beispiel für eine kreative Szene war und mancherorts noch ist, die florierte, weil eben nicht alles an Wirtschaftlichkeit gebunden war. Aufgrund der Tatsache, dass so viele gute KünstlerInnen, die zur Vielfalt der Musikszene beitragen, sich grundsätzlich für ihre „brotlose Kunst“ rechtfertigen müssen (und sich nebenbei noch durch Brotjobs über Wasser halten müssen!), zählen diese hartnäckigen, mutigen Personen zu meinen größten Idolen.
Dein bisher bester Moment?
Ein besonderer Moment für mich war sicherlich der Release des Tracks und des Videos zu „Somebody Else´s Eyes (Blinded Version 2018)“ letzten Spätsommer. Bei der Arbeit am Song habe ich gemerkt, dass ich echte Fortschritte gemacht habe und meinen Sound besser definieren kann. Und im Video (das Material habe ich bei einem Aufenthalt in New York gefilmt) hat mein Sound seine visuelle Entsprechung gefunden, sodass ich sehr glücklich mit dem Ergebnis war. Das Zusammenspiel von Visuellem und Akustischem ist mir extrem wichtig, weshalb ich bei Live-Shows auch Visuals einsetze, die ich selber konzipiere und in Zusammenarbeit mit einem Kollegen produziere.
Gibt es eine Geschichte hinter deinem Namen?
Ja, die gibt es tatsächlich: Ich habe mich eines Tages hingesetzt mit dem Ziel, einen Namen für mein Projekt zu finden. Da ich Deutsche und Griechin bin, wollte ich einen Namen haben, der die nordische und die griechische Mythologie repräsentiert und somit eine Brücke herstellt zwischen Nord und Süd. Gleichzeitig wollte ich auch sogenannte weibliche und männliche Attribute kombinieren.
Da mir die Konstellation optisch und akustisch gefiel, entschied ich mich für „Lotis Tyr“. „Lotis“ ist eine Nymphe aus der griechischen Mythologie, die durch einen wachsamen Esel vor einer Vergewaltigung gerettet wird und anschließend in einen Baum verwandelt wird, während „Tyr“ der nordische Gott des Kampfes und Sieges ist. Ausgesprochen wird das Ganze „Lótis Teir“ übrigens ;)
Was ist dein nächstes großes Ziel?
Live auftreten! Live auftreten und nochmal live auftreten! Wichtiger als die Bekanntheit einer Location ist mir die Eignung der Location bzw. des Events und vor allem das faire Miteinander mit dem Veranstalter. Ich freue mich riesig darauf, zu singen, zu spielen und meine Visuals zu zeigen!
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