Review: SPOT Festival | How to be Danish-Einsteigerkurs

SPOT Festival Dänemark Review MUSIKMUSSMIT
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  • Beitrag zuletzt geändert am:18. Mai 2021
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Dänisch-Sein erläutert an 5 Merkmalen des SPOT-Festivals

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SPOT Festival vom 09. – 13. Mai 2018 in Aarhus/Dänemark
Text und Fotos (analog): Maria Preuß

Inhalt

 

Wenn ich erzähle, ich fahre auf ein Festival in Dänemark, denken alle an’s Roskilde. Das Musikspektakel ist das dänische Vorzeigefestival: das Line-Up ist immer legendär, Tuborg fließt in Bächen, die Dän_innen können nicht mehr geradeaus laufen, trinken aber trotzdem weiter und alle sprechen vom „Orange Feeling“. Ja, Roskilde wird als Inbegriff der dänischen Feierkultur gesehen. Ein viel präziseres Bild der dänischen Lebensart zeigt aber das SPOT-Festival. Dänisch-Sein erläutert an 5 Merkmalen des SPOT-Festivals.

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Holz und Kinder. Willkommen in Dänemark.

 

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1. Musik

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Das SPOT eignet sich besser als jedes andere Festival für eine Skandinavien-Schnelleinführung, weil fast ausschließlich skandinavische Bands spielen. Da Dänemark ein Wohlstandsland ist, in dem selbst Studis mehr Geld haben, als manch hart arbeitende Rest-Europäer_in, gibt es viel Zeit und Gelegenheit, sich mit Kunst und Kultur auseinanderzusetzen. Das gute Einkommen dänischer Familien erlaubt es mit der Anschaffung von Instrumenten in die musikalische Förderung der Kinder zu investieren. Die berühmt-berüchtigt großartigen Englischkenntnisse erleichtern es der hoch ausgebildeten Bevölkerung sich in der internationalen Kulturlandschaft zu bewegen und Inspirationen von „über dem Tellerrand“ zu holen. Die Folge alldessen: Ein weites Feld junger Bands, die sich diversester Genres bedienen, mit verschiedenen Einflüssen experimentieren, eine Prise Skandinavismus hinzufügen und so schlichtweg gute Musik machen.

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Live Session bei Tapetown Recordings mit ONBC

In Dänemark finden sich Bands wie GENTS, die 80er Synthie Pop à la Depeche Mode mit 90er Jahre Boyband Charme mixen und noch lässige Androgynität und skandinavischen Minimalismus dazu tun. Oder es gibt Bands wie Nelson Can, die nicht ohne gewissen Stolz von Fans als „dänische Haim“ bezeichnet werden. Unkomplizierter Garage-Rock im Stile von The White Stripes wird hier mit dänischer Ironie und Gleichberechtigung gemischt. Dass die Band zufällig nur aus Frauen besteht: selbstverständlich. Und Iris Gold ist im Hippie-Bezirk Christiana in Kopenhagen groß geworden und verbindet 70er-Jahre-Rock-Einflüsse mit souligem Pop. Die drei Acts haben auf der Main Stage gespielt und mit ihren Shows bewiesen, dass sie bereit sind für internationale Karrieren. Nach Newcomern haben sich die Performances nicht angefühlt.

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Pasha aus Norwegen bevor er in die Menge hüpfte.

Zwischendurch lassen sich aber immer wieder auch Überraschungen entdecken, die man nicht auf dem Schirm hatte. Boundaries haben lauten und trotzdem introvertierten Post-Punk gespielt. Der Rapper Pasha hat selbstverliebte Sprüche geklopft („Clap for yourself that you are here – looking at me!“), sich und alle anderen mit Wasser bespritzt, ist im Moshpit gehüpft und hat damit ausnahmslos breites Grinsen erzeugt. Und der amerikanische Komponist Nathan Felix ließ seine Stücke von zwei Klavierspielerinnen an schwarzen Flügeln spielen (mein Lieblingsact sogar).

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Auf der Suche nach Schnittchen Tonstudio gefunden.

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2. Essen

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Es gibt Fleisch. Da denkt man, hier im Hipsterkönigreich, wo Apple-Computer, Streetfood und Fahrrad-Fahren zum Guten Ton gehören, dass Veganismus eine Selbstverständlichkeit ist. Nix da. Selbst vegetarisches Essen ist auch auf dem SPOT Festival eher nicht zu finden. Hochwertig und lecker ist es zwar, aber eben auch hochpreisig. Das konnte ich mir als arme und vegetarische Studentin nicht leisten und schmierte mir Roggenbrot mit gesalzener Butter. Da ich als Pressevertreterin zu diversen Empfängen dänischer Musiklabels eingeladen wurde, bei denen Schnittchen angeboten wurden, konnte ich mich auch mit geringem Budget durchschlagen.

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3. Trinken

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Um ehrlich zu sein hätte dieser Punkt am Anfang stehen sollen. Was die Dän_innen so wegbechern können, hab ich selten erlebt. Besoffen sein ist in Dänemark Normalität.

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Das Tuborg wirkt.

Durch die idyllische Altstadt torkeln an den Wochenenden nicht nur die üblichen Verdächtigen (Studis, Teenies, Menschen ohne Perspektive), sondern auch Mutti, Vati, Dein Deutsch-Lehrer, Deine Ärztin. Ein Festival wie das SPOT, so kultiviert es auch sein mag, ist da ein willkommener Anlass, all die skandinavische Reserviertheit wegzutrinken und diverse unbekannte Mitmenschen anzulabern und in ein Gespräch zu verwickeln. Oder auf SPOT-Buchstaben-Installation zu klettern.

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Kein Festival ohne ein bisschen zivilen Ungehorsam.

Wie die Dän_innen überhaupt in diesen Zustand kommen, ist mir ein Rätsel. Immerhin gibt es nichts Ekligeres als dänisches Bier. Und teuer ist es auch noch! Aber auch hier hat mir meine Presse Akkreditierung geholfen und ich hab mich von Sektempfang zu Sektempfang schlawinert.

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Champagner trinken bei Tapetown Recordings

 

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4. Style und Design

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Ich vermute, in Aarhus bekommen alle Kinder in der Grundschule ausführliche Ästhetik-Schulungen. Anders kann ich mir die überwältigende optische Wohltat, die sich auf dem SPOT Festival bot, nicht erklären. Dänemark-Hater sagen, alle sähen gleich aus. Und ja, erstaunlich viele Frauen waren mit super kurzem Pony zu sehen und viele Jungs waren mit Aaron-Carter-Gedenkfrisur unterwegs. Aber Trends gibt’s überall und solange es sich nicht um ungeschnittene Fingernägel oder Latex-Ganzkörperanzüge handelt kann ich akzeptieren, dass viele Menschen einer Modeidee folgen. Außerdem sind die schönen Dän_innen niemals überheblich (obwohl sie es könnten).

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Optische Wohltat.

Dem Skandinavien-Klischee entsprechend zieht sich die Ästhethik auch durch Veranstaltungsorte. Die großen Hauptbühnen des Festivals standen zwar in dem total unschönen Radisson Blue Hotel, aber der Außenbereich entsprach ganz den Erwartungen. Aus Holz zusammengezimmerte Stände und Sitzgelegenheiten, zwischendurch mal eine Hängematte und der obligatorische Spielplatz: alles ganz einem Wohlfühl-Festival entsprechend. Pluspunkt gibt es dafür, dass Konzerte auch im vornehmen Konzerthaus Musikhuset statfinden. In der Vorhalle wächst Efeu an den Wänden und durch die großen Fenster schaut man auf das Kunstmuseum Aros, das Wahrzeichen der Stadt.

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Kultur hoch 2: Ausblick aus dem Musikhuset auf das Aros Museum.

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5. Menschen

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Die oben erwähnte optische Perfektion schüchtert die meisten Menschen erstmal ein. Und dann sind die Dän_innen auch noch keine großen Smalltalker und schmeißen mit Sarkasmus um sich. Aber wer mit Sarkasmus zurück schmeißt, wird in Sekundenschnelle Saufkumpan_innen finden. Dass diese sich am nächsten Tag nicht mehr an die gemeinsamen wilden Tänze und tiefen Gespräche erinnern können, ist klar.

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„Klar kannst Du ein Foto von uns machen!“

Wer die Hoffnung hat innerhalb kurzer Zeit gute Freund_innen zu finden, ist in Dänemark am falschen Ort. Aber ganz ehrlich, wer glaubt, eine gute Freundschaft ensteht durch Spaß und nochmals Spaß hat halt eh nichts verstanden. Die Dän_innen wissen aber wie’s geht: Die engen Beziehungen entstehen über Zeit und Spaß haben kann man immer und jederzeit mit allen – auch wenn man die dann nie wieder sieht. Das klingt oberflächlich? Ich finde das vor allem nett und schön. Nur weil ich eine Person nie wieder sehe, muss ich ja nicht unfreundlich zu ihr sein.

Die dänische Mentalität ist deshalb auch der Grund, warum ich immer und immer wieder gerne zurück fahre – trotz des schrecklichen Bieres, des Fleischüberschusses und der übertriebenen Preise. Und da das SPOT die konzentrierte Essenz des Dänisch-Seins ist, werde ich auch dahin gerne wieder zurück kommen.

Maria

Musikalisch geprägt wurde ich von der Gitarre meines Vaters. Sie ist rot und hat keinen Namen. Mein Vater hat mit ihr Lieder von Neil Young gespielt. Wenn er selber gerade nicht spielen konnte, hörten wir seine Mixtapes auf langen Autofahrten nach Frankreich mit Musik von Tori Amos, Fiona Apple und Portishead. Wir waren immer das Auto, das mit runter gelassenen Fenstern durch die hügeligen Landschaften der Provence fuhren und die Lavendelfelder beschallten. Heute höre ich alles, was mich aus mitunter nicht nachvollziehbaren Gründen daran erinnert: Sufjan Stevens, Wolf Larsen, Feist, Whitney, Do Make Say Think, Agnes Obel, Alela Diane etc.

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