Vielfalt und Liebe zum Detail: Sziget Festival 2017 | Bericht + Fotostrecke

Rudimental Festivalbericht Fotostrecke Sziget Festival Budapest 2017 MUSIKMUSSMIT
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  • Beitrag zuletzt geändert am:31. Mai 2021
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Sziget Festival vom 9. – 16. August 2017 in Budapest
Text und Fotos: Yvonne Hartmann

Was für eine Woche! Noch immer geflasht von meinem ersten Sziget-Besuch versuche ich das Gesehene und Erlebte in Worte zu fassen. Ich dachte, ich wäre seit dem Teenageralter eine geübte und erfahrene Festival-Gängerin, aber dies übertraf meine Erwartungen.

Festivalbericht Fotostrecke Sziget Festival Budapest 2017 MUSIKMUSSMIT

Das Line-Up wurde schon im Vorfeld heiß diskutiert und war wohl im Vergleich zum Vorjahr wirklich bescheidener, bot aber unter anderem mit PJ Harvey, Interpol, Mac DeMarco, The Chainsmokers, Pink oder Bad Religion dennoch internationale Top-Acts aus verschiedensten Genres.

Aber wie ich nach den ersten Festivaltagen feststellte, dreht sich beim Sziget nicht alles um die Main Stages, und gerade das macht dieses Festival aus und hebt es von den mittlerweile vielen anderen europäischen Festivals ab. Das Zusammenspiel von Location, Programm, Kreativität und das vermitteltes Gemeinschaftsgefühl macht das Sziget zu einem einmaligen Erlebnis, das in Europa seines Gleichen sucht.

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LOCATION
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Eine komplette Insel in der Donau und mitten in der schönen ungarischen Hauptstadt Budapest ist die ideale Kulisse für dieses multikulturelle Spektakel. Hunderte von jungen Menschen, die am ersten Festivaltag am Bahnsteig „Filatorigát“ mit Zelten, Schlaf- und Rucksäcken bepackt die S-Bahn verließen, erinnerten irgendwie an Harry Potter Filme. Die Ankunft auf der Insel „Ôbudai-Sziget“ zu Wasser ließen in den darauffolgenden Tagen eher Szenen aus Jurassic Park in meinem Kopf aufpoppen.

Kleine Wäldchen und ein inseleigener Strand boten willkommene Schattenplätze und Abkühlung während der Hitzewelle, die die erste Festivalhälfte noch beherrschte und die Temperaturen bis auf 38°C anstiegen ließen.

Rund 50 Bühnen und Schauplätze verteilten sich, jede mit ihrer eigenen Persönlichkeit, über die gesamte Insel und boten ein Unterhaltungsprogramm, das keine Wünsche offen ließ. Wegweiser und Karten sowohl auf den großen Hauptalleen als auch auf den kleinen Waldwegen stellten sicher, dass sich auch niemand auf dem Weg zu seinem nächsten Programmpunkt verläuft. Ich hätte mir zur besseren Orientierung allerdings gewünscht, dass der aktuelle Standpunkt jeweils auf der Karte eingezeichnet gewesen wäre.

Mit diversen Zeltplätzen (teils mitten im Geschehen, teils abseits der Hauptattraktionen), einem Supermarkt, einer Apotheke, einer Postfiliale und einem Friseursalon hatten auch die permanenten Inselbewohner alle Essentials für einen angenehmen, einwöchigen Aufenthalt.

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KREATIVITÄT
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Wer trotz der Hitze noch kreativ war, konnte sich in der Art Zone“ so richtig auslassen. Hier wurden in verschiedensten Workshops jeden Tag Liegestühle gebaut, Taschen kreiert, Traumfänger gebastelt, Wände und T-Shirts bemalt. Um der Dauerbeschallung von den großen Bühnen für eine Weile zu entgehen, musste man sich also nicht ins Zelt zurückziehen, sondern konnte hier produktiv sein und nebenbei neue Leute kennenlernen oder sogar Freundschaften knüpfen.

Überhaupt stand die Deko des Festivals voll im Fokus der Kunst. Ob verzierte Baumstämme, Lampions in den Baumwipfeln oder Lichtinstallationen, jedes Detail auf dem Gelände war künstlerisch durchdacht und machte die gesamte Insel zu einer großen Kunstausstellung.

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PROGRAMM
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Musik war wie gesagt nur ein Teil dessen, was das Sziget zu bieten hatte. Und selbst beim Musikprogramm kam wohl jede_r auf seine/ihre Kosten. Neben den beiden Hauptbühnen, die internationale Größen aus Rock, Pop und Elektro beheimatete, versteckten sich noch diverse andere Bühnen auf der Insel. Unter anderem die „World Music Stage“, wo zu Rhythmen und Melodien aus der ganzen Welt getanzt wurde, die „Europe Stage“ oder das aus Europaletten nachgebaute „Colusseum“, das bis in die Morgenstunden von renommierten DJs wie Kollektiv Turmstrasse, Carl Craig, Agora oder Matador belebt wurde.

Electro Rumbaiao beim Sziget Festival 2017 MUSIKMUSSMIT

Außerdem gab es da noch das „Afro-Latin-Reggae Village“ und die „Classical, Opera and Jazz Stage“, die „Music Box“, die „Lightstage“, die „Telekom Volt Festival Stage“ und die „Telekom Electronic Beats Arena“.

Abgesehen vom musikalischen Angebot wurden von Akrobatik bis Pantomime diverse unterhaltsame Zirkusvorstellungen geboten und kulturelle Ökosysteme geschaffen wie im „Museum Quater“, wo sämtliche Budapester Museen vertreten waren.

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SZIGET GEMEINSCHAFT

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Vielfalt und Gemeinschaft lagen wie ein Umhang über der Insel. Es waren charmante Details, die sich durch das ganze Festival zogen, aber eine enorme Wirkung hatten. Angefangen bei den SzigetReisepässen, die an jedem Eingang lagen und primär als Informationsquelle dienten und sich enormer Beliebtheit erfreuten. Neben allen nötigen Informationen zum Festival (Programm, Geländeplan, Künstler_inneninfos, etc.) konnte man sich mit seinem Pass beim eigens eingerichteten Registrierstand als Szitizen of the Island of Freedom (Sziget Bürger_in) inklusive Passfoto eintragen lassen und sich an verschiedenen Programmstationen sogar Stempel abholen. Die doppelte Staatsbürgerschaft ist den Szitizen übrigens erlaubt.

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„One Love“ war das Motto und konnte im Zelt „Wedding Tent By Randivonal“ besiegelt werden. Hier konnte man sich mit jedem, jeder und allem verehelichen lassen.

Generell war es wohl das vielfältigste Publikum, das ich je auf einem Festival gesehen habe. Sziget zählte dieses Jahr mehr als 450.000 Besucher_innen aller Altersklassen aus über 100 Nationen.

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HIGHLIGHTS

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Eins meiner musikalischen Highlights war ohne Zweifel der spektakuläre Auftritt von PJ Harvey und ihrer neunköpfigen Band. Schwarze Federn und das Saxophon in der Hand untermalten ihre ohnehin theatralische Bühnenpräsenz. Ihre klare aber kraftvolle Stimme gepaart mit dramatischen Percussions, dröhnende Baritonsaxofone und Basstrommeln erzeugten Gänsehaut. Überrascht war ich über die relativ spärliche Besuchermenge verglichen zum Konzert von The Chainsmokers, bei dem kein Fuß mehr auf den Boden zu setzen war.

PJ Harvey Festivalbericht Fotostrecke Sziget Festival Budapest 2017 MUSIKMUSSMIT

Der Gegenpol, aber nicht weniger unterhaltsam: das Konzert von Mac DeMarco. Der lustige Kanadier lieferte trotz des obligatorischen Leerens einer Flasche Hochprozentigem auf der Bühne nicht nur musikalisch ein großartiges Set, sondern sorgte nebenbei mit Selbstironie und Gitarrensolos auch für ausgelassene Stimmung im Zelt der „OTP Bank Stage“.

Mac DeMarco Festivalbericht Fotostrecke Sziget Festival Budapest 2017 MUSIKMUSSMIT

 

Electro Rumbaiao ließen mich und hunderte von Szitizens Sonntag Nacht in einen Tanzrausch verfallen. Ihre lateinamerikanischen Rhythmen und Flamenco-Passagen gespickt mit elektronischen Beats füllte an der „World Music Stage“ noch zu später Stunde die Tanzfläche. Ein Reggae-Bier (Bier mit frischer Limette und Orange) dazu machte das Karibik-Feeling perfekt.

Electro Rumbaiao Festivalbericht Fotostrecke Sziget Festival Budapest 2017 MUSIKMUSSMIT

 

Als deutscher Abgesandter rappte Marteria mit seiner Band im Zelt der OTP Bank Stage die Fans ordentlich in Stimmung und überzeugte mich und meine Begleitung mehr als ein allein auf der Bühne stehender Vince Staples.

Marteria Festivalbericht Fotostrecke Sziget Festival Budapest 2017 MUSIKMUSSMIT

Marco Jacopo Bianchi aka Cosmo, italienischer Singer-Songwriter und Frontmann der Indie-Rockband Drink To Me, verwandelte die „Europe Stage“ am Montag Abend kurzerhand in eine italienische Party und brachte die Sicherheitskräfte ordentlich zum Schwitzen, in dem er am Ende seines Sets das Publikum auf die Bühne holte. Eine unglaubliche Stimmung, die nicht zum ersten Mal bestätigte, dass es auf der Island of Freedom keine Grenzen zu geben scheint.

Cosmo Festivalbericht Fotostrecke Sziget Festival Budapest 2017 MUSIKMUSSMIT

Aber auch die kleinen Überraschungen, die mir bei Spaziergängen auf der Insel über den Weg liefen, fuhren oder am Wegesrand zu entdecken waren, machten das Sziget dieses Jahr zu meinem absoluten Festival-Favourite. Ob lovely Mister Piano, der auf seinem mobilen Klavier Klassiker spielte, ein kleiner mittelalterlicher Jahrmarkt, eine Minikarawane kunterbunter Zirkusakrobaten, oder die als Auge, Mund, Nase, Hand und Ohr verkleideten Zeitgenoss_innen, die in diesem kleinen Paralleluniversum auf einem meiner Streifzüge meinen Weg kreuzten, hatten alle und alles ihre/seine völlig natürliche Daseinsberechtigung.

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Da ich mir nebenbei noch die wunderschöne Stadt Budapest angeschaut habe und für einen Tag wegen Krankheit ausgefallen bin, habe ich (nur) 4 von 7 Festivaltagen mitgenommen. Das hat zwar leider nicht ausgereicht, um alle Programmstationen zu sehen, war aber für mich genau die richtige Mischung zwischen Festivalerlebnis und Städtereise. Ich hoffe, es war nicht mein letzter Sziget-Besuch und werde beim nächsten Mal etwas besser vorbereitet sein, da ich jetzt weiß, worauf ich mich konzentrieren muss: eben nicht auf die großen Bühnen, sondern auf die Liebe zum Detail.

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Ich kann euch dieses Festival nur wärmstens empfehlen. Mit einer Unterkunft in der Stadt ist es der perfekte Ausgleich und eine weitere Attraktion eines unvergesslichen Städtetrips nach Budapest. Tomás Kádár, neuer CEO des Sziget Managements, kündigte übrigens an, dass 2017 ein Wendepunkt für das Sziget Festival sei und es schon im nächsten Jahr Neues auf dem Sziget zu sehen geben wird, um sich noch mehr von der wachsenden Konkurrenz abzuheben.

Weitere Fotos findet ihr bei uns und bei mir auf Instagram.

Yvonne

Immer in Bewegung, am liebsten mit Board auf Asphalt, Schnee oder Wasser, mit Kamera vor und hinter der Bühne oder mit Freunden auf der Tanzfläche. Stets von Fernweh geplagt. Wahl-Halbspanierin. Serienjunkie. Ich liebe die Symmetrie, meinen Hund und Ajonesa. Seit meinem ersten Konzertbesuch (Michael Jackson) mit 12 Jahren sind Konzerthallen und Festivalgelände mein zweites Wohnzimmer. Dabei beschränke ich mich ungern. Ich mag (fast) alles, von Rock über Jazz und Hip Hop bis Elektro. Ihr findet mich auch auf Instagram.

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