Es ist auch das Festival, bei dem ich, mittlerweile als Tradition, die Zeltnachbar_innen nachts darauf hinweise, dass sie sich zu laut unterhalten (…)
Alínæ Lumr Festival in Storkow vom 25. – 27.08.2017
Text und Fotos: Maria Preuß
Das Alínæ Lumr ist das Festival, auf dem sich die Securitykräfte nach einem Tag schon an jedes Gesicht erinnern. Es ist das Festival, wo man wieder die selben Menschen trifft, wie letztes Jahr. Joschko zum Beispiel, der uns zur Storkower Schnitte einlädt (ein gegrilltes Sandwich mit unter anderem Avocado und Honig. Wer mehr wissen will, muss Joschko schon selber kennen lernen). Es ist auch das Festival, wo neue Freundschaften auf der Burgtoilette geschlossen werden. Tim Timon Thorben Thorsten oder wie auch immer er heißen mag, hat auf die VIP-Toiletten aufgepasst und Gespräche auf sehr überzeugendem Fantasie-Italienisch geführt.
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Es wird fair gehandelt
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Es ist defintiv auch jenes Festival, bei dem vor dem Vöner-Stand mit viel Respekt und Wertschätzung Ohrfeigen fair gehandelt werden: Du bekommst eine, du gibst eine, alles teil der Selbsterfahrung. Es ist das Festival, bei dem kleine Kinder durch den Kirchengang rennen dürfen, ohne von wannabe-nächstenliebenden Pfarrer_innen ermahnt zu werden. Es ist auch das Festival, bei dem ich, mittlerweile als Tradition, die Zeltnachbar_innen nachts darauf hinweise, dass sie sich zu laut unterhalten (woraufhin ich darauf hingewiesen werde, dass das ja ein totales Spießer-Festival sei). Es ist das Festival, bei dem ich irgendwann auf einmal völlig unerwartet total in Musik verloren bin, die ich noch nie vorher gehört habe.
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Alle bringen mehr Zeit mit
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Es ist nicht das Festival für hartgesottene Fusion-Fans, die es nicht stört, wenn an’s eigene Zelt gekotzt wird. Es wird auch nicht die ganze Zeit Bier-Pong gespielt. Es ist eher dieses Festival, bei dem alle etwas mehr Zeit beim Getränke bestellen mitbringen, weil nur Freund_innen von Freundesfreund_innen der Festivalmacher_innen an der Bar stehen und alle keine Service-Erfahrung haben. Es ist auch jenes, bei dem es ok ist, den ganzen Samstagvormittag am See auszukatern, weil das musikalische Programm eh erst am Nachmittag beginnt.
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Schlendern ist die vorwiegende Fortbewegung
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Das Alínæ Lumr wird seit drei Jahren von einer 20köpfigen Initiative veranstaltet, die sich dem Ort Storkow verbunden fühlt. Dort sind liebevoll die Spielstätten ausgewählt. Auf dem Marktplatz unter einer riesigen Eiche stehen Foodtrucks, ein paar Bänke und eine Bühne, zu der auch alle Anwohnenden und Vorbeischlendernden Zutritt haben. Durch eine kleine Dorfgasse gelangt man von dort zum Mühlenfließ, einem kleinen Garten, durch den ein Fluss fließt. Der significant tree hier ist der Apfelbaum, unter dem die Bands spielen. Ein bisschen weiter die Straße runter, am Dorfitaliener und dem Eisladen vorbei, gelangt man zur Kirche, in der zum Beispiel Dear Reader die Sitze füllten. Auf der anderen Seite des Dorfes befindet sich die Main Stage auf der Burg, das Storchennest und der Bienchenbau, wo Yogakurse stattfinden und Freiwillige ihr Catering bekommen.
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Das Publikum liegt und sitzt zu Füßen
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Steckenpferd des Alínæ Lumr ist und bleibt die Musikauswahl. Wie auch letztes Jahr gab es nur ein, zwei Bands die ich vorher kannte (und mochte). Von allen anderen habe ich mich überraschen lassen. Am besten funktioniert es, nichts ahnend am Mühlenfließ vorbei zu schlendern. Die Chancen stehen gut, dass dort nicht zu laute, aber intensive Klänge ertönen. Bei Coals (wir präsentieren die Herbst-Tour!) war das der Fall und auch bei AG Form, der vierköpfigen instrumental Postrock-Band, die ich letztes Jahr schon entdecken durfte. Auch Arms&Sleepers hatte mit seiner selbst als „upbeat“ bezeichneten Musik das Publikum auf seiner Seite. Mir persönlich war der ambient Trip-Hop zum Tanzen allerdings zu lasch und zu wenig abwechslungsreich.
Spannender fand ich Lowly, eine fünfköpfige Band aus Aarhus, Dänemark, die irgendwas für mich undefinierbares mit Synthies und E-Gitarre gemacht haben, was so gut war, dass ich nicht wollte, dass sie aufhören zu spielen, aber gleichzeitig unfassbar viel Mitleid mit dem sehr ausdauernden Schlagzeuger hatte. Das zweite musikalische Highlight kam auch aus Dänemark. Girls in Airports sind fünf Jungs, die grob gesagt Jazz machen. Die Kombination aus einem Schlagzeuger, einem weiteren Percussionisten, einem Pianisten und zwei Bläsern ermöglichte aber Songstrukturen und -dramaturgien, die ich so noch nicht gehört habe. Am zweiten Festivalabend spielte die Band auf dem Marktplatz, während das faszinierte Publikum ihr wortwörtlich zu Füßen lag oder saß, mit geschlossenen Augen oder in den Himmel guckend. Ein, zwei Ansagen in dänischem Akzent und der Abend hinterließ mich wunschlos glücklich.
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Ich komme wieder
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Auch wenn ich dieses Jahr nach der ersten Nacht im Zelt das Gefühl hatte, seit letztem Jahr um 20 Jahre gealtert zu sein, und nun endgültig aus dem Festival-Alter raus zu sein scheine, werde ich nächstes Jahr wieder kommen. Und hoffentlich auch noch viele, viele Jahre später. Irgendwann dann vielleicht mit einem Wohnwagen und ’ner richtigen Matratze. Meine Kiddies hab ich dann auch dabei, die dürfen dann, wenn Dear Reader in der Kirche spielt, zwischen den Gängen rennen. Dürfen sie ja sonst nicht. Beim Alínæ Lumr, dem Wohlfühl-Festival für Spießer_innen wie mich ist das aber ok.