Sharon van Etten am 5. April 2019 live im Columbia Theater | Support: The Golden Filter
Text und Fotos: Claudia Dünckmann
Als Sharon van Etten am 5. April 2019 auf die Bühne des Columbia Theaters kommt, rufe ich beinahe: „Hey Schnucki! Endlich lässt de dich blicken. Schön, dass de hier bist.“ Gefühlt sind wir beide ja Best Friends, obwohl sie den Kontakt für fünf Jahre völlig abbrach und sich erst wieder mit ihrem neuen Album „Remind Me Tomorrow“ blicken ließ. Aber ich kann ihr einfach nicht böse sein. Und so stehe ich hier, bereit für mein erstes richtiges Date mit der Ausnahmekünstlerin.
***
Gefühlsduselig in der Achterbahn
***
Das Konzert beginnt mit den Zeilen „Our Love’s For Real“ von „Jupiter 4“, ein Stück von der aktuellen Platte. „Oh Yeah!“, schreie ich zustimmend mit leuchtenden Augen. Für jede_n andere_n wäre dieser Auftakt wahrscheinlich zu melancholisch oder schwermütig gewesen, aber ich weiß diese Gefühlsduselei zu schätzen. Sie legt sich sehnsüchtig in ihren Song hinein und ich gleich mit. Darauf folgt „Comeback Kid“ – auch von der neuen Platte. Von ganz unten nach ganz oben, gepuscht durch treibende Beats und getragen von ihrer eindringlichen Stimme ist das eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Ohne stürmischen Wechsel geht es bei Sharon eben nicht.
***
Unnahbar, aber freundlich
***
Wenn es jedoch zu intim wird, weicht sie zurück. In ihrem bordeauxroten-schimmrigen Anzug wirkt sie immer ein Stück weit unnahbar. Die expressiven Posen tun ihr übriges. „Hast de wohl zu viel am Set von „The OA“ abjehangen, wat?“, denke ich mir.[1] Freundinnen können ja ehrlich zueinander sein. Das ist ja das Schöne. Auch die ersten gesprochenen Worte kommen recht spät. Da hätte ich mir schon früher was gewünscht. Jedoch lässt mich ihre freundliche, fast schüchterne Art darüber hinwegschauen und bietet mir zugleich einen Moment der Entspannung zwischen den doch recht intensiven Songs.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Youtube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Sharon spielt einen schönen Mix aus alten und neuen Titeln. Ich bin überrascht, wie gut die neuen Songs live wirken. Als sie während „Seventeen“ berauschend ins Mikro brüllt, starrt sie in das Publikum, kitzelt quasi mit ihrem direkten Blick die Leute. Ihre Handlungen schaffen Reaktionen. Und so hat sie bis zum Schluss des knapp anderthalbstündigen Sets die Fans fest im Griff. Eine echte Powerfrau eben!
***
Ende schlecht, alles gut?
***
Sharon kommt noch einmal raus und gibt eine Zugabe. Den Deutschen Filmemacher_innen sagt man ja hinterher, dass sie das Ende nie richtig hinkriegen. Liebe Sharon, jetzt sage ich dir mal was: das Ende eines deutschen Films ist eines Oscars würdig verglichen mit deiner Zugabe. Das mag jetzt für einige hart klingen, für meine Ohren klingt die Zugabe aber nicht weniger hart. Die Songs sind zu langatmig und melancholisch für eine Zugabe und machen mich müde.
Trotz alledem halte ich als treue Freundin zu Sharon. Sie ist und bleibt eine Ausnahmekünstlerin, die mit ihrer Musik einen Seelenstriptease hinlegt und dadurch viel Nähe zu den Zuhörer_innen schafft, so dass man fast glauben könnte, man würde sie tatsächlich kennen. In diesem Sinne, liebste Freundin, bis zum nächsten Mal!
[1] Sharon van Etten spielt in der ersten und zweiten Staffel der Netflix-Serie „The OA“ die Rolle der Rachel.