Schauspiel made in China
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Konzert am 09. März 2016 im Hafenklang, Hamburg
Text: Till Brokhausen, Fotos: Isidora Vrbavac, Till Brokhausen
Eine chinesische Band, die nicht nach China klingt. Das kann man unauthentisch finden, doch Nova Hearts Musik und Auftreten sind ein Gemisch von Kulturen. Das Spotifyprofil der Band ist ein Portfolio musikalischer Inspirationen: Chromatics und YeahYeahYeahs, Future Islands und LCD Soundsystem – alles authentische Größen der westlichen Indie-Sphäre. Mastermind der Gruppe, Helen Feng, wurde in China geboren, wuchs aber in den USA auf. Für eine Anstellung als Moderatorin bei MTV China kehrte sie nach Beijing zurück. Als Gegenentwürfe zum Mainstream und dessen Wegwerfkultur gründete sie ihre eigenen Indie-Bands. So entstand 2011 die Synth-Pop-Band Nova Heart.
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Ein halbes Jahr zuvor – ein Exkurs
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Im Oktober 2015, kurz nach Veröffentlichung des ersten Nova Heart Albums, war ich am Ende einer längeren Reise in Beijing angekommen. Da ich schon ein Jahr zuvor den Großteil des Beijinger Angebots für Tourist_innen durchgekaut hatte, hatte ich das Ziel die lokale Musikszene in fünf Tagen soweit wie möglich zu erforschen. Das Vorhaben trieb mich mehrfach ins 69 Café, ein klassenraumgroßes Paradies für Musikfans. Betreiber Xiao Zhan, dem auch der Rockland-Plattenladen in der Nähe gehört, und speziell eine Aushilfe legen für mich chinesischen Indie auf. Es erklingen Carsick Cars (großartiger Name), Snapline (Darkwave), White+ (Math Rock) und eben Nova Heart. Es wäre stark untertrieben zu behaupten, ich sei ein halbes Jahres später überrascht gewesen als ich in Hamburg auf ein Konzertplakat mit dem Namen stieß.
Böse Miene zu gutem Sound
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Helen Feng vereint westliche und chinesische Kultur und dürfte sich der herrschenden Vorurteile über China bewusst sein. So macht die Frontfrau Authentizität zum Spielball der Bühnenshow. Wo das Instrumental-Intro „Drive To Our End“ endet, beginnt Fengs dominante Bühnenpräsenz; die Sängerin betritt zum zweiten Song die Bühne und macht sich mit geradezu aggressivem Overacting zum Fixpunkt des Auftritts. Mal verbirgt sie ihr Gesicht in ihren Handflächen und zieht manisch Haarsträhnen durch ihr Gesicht, wann anders reißt sie die Augen so weit auf, dass man vor ihrem psychotischen Blick Angst bekommt. Bei Instrumental-Passagen springt sie wild auf der kleinen Bühne herum, nur um danach sichtlich verlegen wieder am Mikro zu stehen und doch neckisch mit ihren Haaren zu spielen.
In den Rollen, in die Feng schlüpft, spielt sie mit den Erwartungen der Zuschauer_innen. Sie erfüllt, was das Publikum von ihr an Klischees erwartet, spielt mal die introvertierte Künstlerin, die wilde Rock-Rebellin, die extrovertierte Sentimentale. Mit ausladenden Bewegungen und überspitztem Mienenspiel zerrt sie das Schubladendenken wortwörtlich ins Rampenlicht, wie eine Karikatur, die Charakteristika überzeichnet und vorführt. Feng erinnert dabei an die Hua Dan in einer Peking-Oper, wo Gestik und Mimik festen Regeln folgen und unverzichtbarer Teil der Narrative sind. Die Rolle der Hua Dan ist dem Brauch nach arglistig, kokett und sucht das Zentrum der Aufmerksamkeit, doch Helen Feng holt diesen Part in die Gegenwart. Indem sie tut was sie will redefiniert sie die Rolle der Hua Dan, besetzt sie positiv und bricht gleich mit zwei Traditionen: Konzerterwartungen und chinesischem Brauch.
Auch ohne Maske undurchschaubar
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Vor dem Hintergrund macht auch Fengs sonstiges Gebaren Sinn. Gelegentlich spricht sie von sich und der Band als Produkt, das man am Merch-Stand später weiterkonsumieren könne. Doch dann lässt sie die Masken plötzlich fallen und die vermeintlich echte Feng, konsumkritisch und feministisch, kommt zum Vorschein. Wenn sie zwischen den Songs von Madonnas Bildband über sadomasochistischen Sex („She wanted you to put her clit on a fucking coffee table! Do you know what that means?“) und über Geschlechterverhältnisse spricht. Oder sie das Publikum darüber aufklärt, dass sie in Zeiten von Handyvideos die komplette Inszenierung Computern und Playback überlassen könnte. Dann wirkt sie herablassend und überfordernd. Dann geht nervöses Lachen durch die Menge, weil niemand weiß, ob das wieder ein Witz, noch eine Rolle sein soll. „If you have kids, play them a Madonna album tonight. Anything before ‚Ray of Light‘. The rest was shit.“ Erleichtertes Lachen. „I live in a culture where cow pussy means awesome!“ Nervöses Lachen. Feng gräbt ihren vorangegangenen Botschaften das Wasser ab, lässt ihren Protest schlagartig zur Farce verkommen.
Helen Feng ist Produkt und Verpackungsdesignerin in einer Person. Die Unklarheit der Inszenierung deckt sich mit der Aufmachung ihres Merchs. Ein Rorschach-Muster schmückt das Cover des Albums. Dem liegen weitere, bunte Muster auf transparente Folien, wie man sie von Röntgenaufnahmen kennt, bei.
Eine Zugabe für den prall gefüllten Goldenen Salon des Hamburger Hafenklangs gibt es nicht, Materialeinsparungen. Ähnlich begründet sich sicherlich das karge Bühnenbild. Von ausgefeilter Lichttechnik, die gerade so synthielastigen Indie wunderschön in Szene setzen kann, oder ähnlichen Effekten keine Spur. Dafür ist Helen Feng eine absolute Macht am Mikrofon. Die Musik bleibt hinter der ganzen Show glücklicherweise nicht zurück. So hinterlassen Nova Heart auf ihrem letzten Tourstopp ein zweifelsohne gut unterhaltenes Publikum, das trotz aller Wirrungen die Band am Ende feiert. Mich hinterlässt der Auftritt etwas verwirrt, doch auch nachdenklich.
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Fakten:
Gründung: 2011
Online: Facebook
Veröffentlichungen:
Beautiful Boys EP (2012)
Nova Heart LP (2015)
Letzte Tourdaten (aktuell nicht mehr auf Tour):
23.02.16 – Ziegel Oh Lac, Zürich
24.02.16 – Bad Bonn, Dudingen
06.03.16 – Berghain/Kantine, Berlin
09.03.16 – Hafenklang, Hamburg