Ein Herzschlag aus Bass & in den Adern fließt buntes Blut: Welcome to Melt! Festival 2018

Melt! Festival 2018 Bericht MUSIKMUSSMIT
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  • Beitrag zuletzt geändert am:18. Mai 2021
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Und als ihre hell erleuchtete Bühne alles andere um sie herum in tiefes Schwarz tauchte, gab es im Publikum einen Moment der Einheit, der Verbundenheit, ja, des Zusammenschmelzens, und der war richtig, richtig schön.

Melt! Festival vom 13. – 15.07.2018 in Gräfenhainichen
Text und Fotos: Julia Silko

Wenn am Donnerstag der Beat des Sleepless Floors wie das Herz des Festivals zu schlagen beginnt, dann setzt dieser das gesamte Wochenende nicht aus und gibt stattdessen den Puls eines eigenartigen, kleinen Organismus vor, der für ein Wochenende Realität wird.

Vor eben diesem stand ich nun also zum ersten Mal: Vor mir die Modeselektor-Stage, über mir die immer noch wahnsinnig heiße Nachmittagssonne, rechts neben mir die futuristisch anmutende meterhohe Metallmaschinen mit Feuerwerfern und Diskokugeln behangen, links neben mir eine fantastische Kulisse aus einem riesigen See mit hübschen Pflanzen. Während bei diesem Anblick die Gegensätze nicht größer gewählt sein hätten könnten, war der Rest des Festivals dann so stimmig, dass es beinahe wehtat.

Hier ist es also, das Sommer-Mecca, der Ort, der an dem sich die Jungs vom Becks-Segelschiff und die Mädels im weißen Bikini aus der Sonnencremewerbung räkeln, wenn sie mal Urlaub machen, um dann, weiß ich jetzt auch nicht, auf die Überreste der peppenden Vice-Leserschaft zu treffen, auf dass die Drogen sie Frieden und Einheit erleben lassen werden, wenigstens für dieses Wochenende. Ich habe mich also direkt heimisch gefühlt.

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Gute Stimmung, gute Organisation, viel Musik

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Doch die Besucher_innen des 21. Melt Festivals durften sich nicht nur über Sommerstimmung, ein herzliches Miteinander und eine wirklich perfekte Organisation freuen, sondern ebenso über ein Line-Up, dass sich echt gewaschen hatte: Acts wie Nina Kraviz, Cigarettes After Sex, Badbadnotgood oder Little Dragon lieferten in gewohnter Manier gute Stimmung und echte Expertise in dem, was sie taten. Geboten wurde demnach alles, was von feinsten Jazzklängen bis zu derbem auf-die-Fresse-Techno ging.

Was zweifellos ein gutes Festival von einem genialen unterscheidet, sind die kleinen Acts, die es zu entdecken gilt: So feierte man ausgelassen zum estnischen Rapper Tommy Cash, der mit osteuropäischem Akzent und selbst heruntergeladenen Kitsch-Youtube-Videos als visuelle Untermalung zu seiner Show überzeugte, dieser crazy Boy. Die belgische Rapperin Coely machte mit ihren smoothen Flows sofort Bock auf mehr. Die australische Elektro-Pop-Band Parcels, der ich, zugegeben, vorher ein ziemlich hohes Langweiligkeitslevel unterstellt hätte, überraschten mit einem extra für das Melt! zusammengeworfenen peppigen Funk-Set und brachten die Massen straight down to the dancefloor.

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Auf ein Stündchen mit Black Jesus Moses Sumney

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Meine persönliche Wundertüte war dieses Jahr jedoch Moses Sumney. Alle Befürchtungen, dass dies ein eher melancholischer Auftritt werden würde, wurden während seiner Stunde auf der Modeselektor-Stage komplett weggefegt. In einem Mix aus R’n’B, Jazz und Elektro bezirzt Sumney das Publikum mit seiner butterweichen, lieblichen Stimme, liebkoste es, ja, zwitschert ihm fast wie ein kleines Vögelchen in einem schlechten Disneyfilm die Melodien zu. Anschließend kam er mit einer dramatischen Geste kurz von der Bühne herab, um direkt neben dem See wie ein schwarzer Jesus zum Publikum zu sprechen. Welch ein biblischer Augenblick!

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Florence, Taylor und the XX

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Schließlich machten auch die Headliner deutlich, dass sie diese Bezeichnung und die Primetime absolut verdient hatten. Die erste, Florence Welch, die sich, nebenbei bemerkt, echt anhört wie auf Platte, überzeugte durch ihre leidenschaftliche und durchdringende Musik. Außerdem verkörperte sie barfuß und in eine große Regenbogenflagge gehüllt auch den Vibe des Festivals was Toleranz und Offenheit anging, der an vielen weiteren Orten des Festivals zu spüren war. So wurde am Zeltplatz mit dem Tabuthema Menstruation gebrochen, indem die Mädels der Kreativagentur Goagirls einen zu Bloody Marys, einem Aufkleb-Vaginatatoo oder einem Besuch im Periodenzelt einluden. Mit ihrem „Straight Outta Vagina“-Cover feierte die Quere-Formation um Dragqueen Pansy ebenfalls die Vagina, thematisierten aber auch Bodypositivity und Queerculture und machten die Hauptbühne zu einem wahren Schmelztiegel von sexueller Energie, Musik und Identität.

Der zweite Mainact, Odd-Future-Chef Tyler.The Creator gab sich publikumsnah. Statt sich der bloßen Zerstörungswut vieler seiner Songs hinzugeben, gab er sich behutsam und agierte mehr, führte fast schon ein Dialog mit seinem Gegenüber. Interessanterweise war es genau das, was viele HipHop-Hasser_innen in meinem Umfeld einmal zum Umdenken brachte.

Schließlich gelang dem dritten Hauptact, der Indie-Electronicband The XX am Sonntag Abend als einer der letzen Auftritte, was nur manchmal, wenn das Festival echt und wirklich gut war, gelingt: Sie kreierten mit ihren Songs und ihrer liebevollen, leidenschaftlichen, zerbrechlichen Art wahre Energie, echtes Feuer. Und als ihre hell erleuchtete Bühne alles andere um sie herum in tiefes Schwarz tauchte, gab es im Publikum einen Moment der Einheit, der Verbundenheit, ja, des Zusammenschmelzens, und der war richtig, richtig schön.

In diesem Sinne: Danke für alles, Melt!

Julia

Musik ist für mich Enthusiasmus und Eskapismus, meine erste Liebe, schwierig, eigensinnig, Lebenssinn und überlebenswichtig, krass und manchmal ätzend. Ein bisschen wie das Lametta auf dem Tannenbaum, das Frettchen im Bällebad und das Kokos am Raffaelo. Mit Ohren voller Skepsis friste ich ein Dasein zwischen Hiphop, RnB, Bluesrock und Pop. Wenn ich mich nicht gerade mit Musik aufhalte, darüber schreibe oder lästere, bin ich mit Studieren, Lesen oder Sport beschäftigt.

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