„Genau richtig ist dieses Festival auch für Leute, die gerne nachts schlafen.“
Text: Maria Preuß // Beitragsbild: Constantin Timm
Ich hasse Festivals.
Ich hasse es, nicht schlafen zu können, weil die ganze Nacht Bässe dröhnen und neben mein Zelt gekotzt wird. Ich hasse es, am nächsten Morgen zerknautscht und im Schlafanzug dreißig Minuten anzustehen, um endlich pinkeln zu können. Ich hasse die Drogen, ich hasse die Menschenmassen, die sich an den Bars und Food-Ständen drängen und ich hasse die riesigen Bühnen, auf denen Mainstream Artists stehen, die ich aus ewiger Entfernung eh nicht sehen kann.
Und ich liebe das alínæ lumr Festival!
Eigentlich ist „Festival“ fast nicht der richtige Begriff. Vielleicht passt Dorffest besser. Auf dem Marktplatz spielen nachmittags ein, zwei Bands, ab 23 Uhr ist Ruhe im Dorf. Es fliegen keine leeren Flaschen oder Plastikbecher durch die Gegend, es liegen keine Druffis vor den Dixie-Klos. Auf der Wiese neben dem kleine Mühlenbach spielen Bands unter’m Apfelbaum, auf dem Burgvorplatz steht die größte Bühne und aus dem Nachbardorf kommen die Anwohner_innen angeradelt und fragen sich, was das hier ist, dieses Festival.
Doch um ein gewöhnliches Dorffest zu sein, müsste sich alínæ lumr all ihren großartigen Bands entledigen. Und all der liebevollen Dekoration und dem originellen Essen. Und auch all der entspannten, Musik liebenden Gästen. Denn all das hat alínæ lumr zu dem Musik-Land-Apfel-Traum gemacht, das es nun mal war.
Veranstaltet wurde das Dorffestival mit dem Namen, den alle aussprechen dürfen, wie sie wollen, letztes Jahr zum ersten Mal. Ein nun extra gegründeter Verein von 20 Leuten war dieses Jahr verantwortlich für die Wiederholung. Dass gefühlt alle Bands (sowie Helfer_innen und Gäste) irgendwie die Veranstaltenden kannten und irgendwie alle auch untereinander befreundet sind, hat ausschlaggebend zu dem Gefühl beigetragen, wir befinden uns auf einer entspannten Gartenparty, die etwas zu groß geraten ist.
Fünf Bühnen wurden an den drei Tagen bespielt. Alle wurden an schönen Storkower Orten errichtet. Es wurde in der Kirche gespielt, auf dem Marktplatz – der sogar ohne Eintritt zugänglich war, unter’m Apfelbaum am Mühlenfließ, auf dem Burgplatz und im benachbarten Burgsaal. Für Menschen, die ungefilterte Sonne nicht länger als zwei Stunden ertragen können, sind das perfekte Spielstätten. War es nicht die Burg, die Schatten spendete, war es eben die riesige Eiche auf dem Marktplatz.
Genau richtig ist dieses Festival auch für Leute, die gerne nachts schlafen. Denn gespielt wurde nur nachmittags und abends und die langen spätnächtlichen Aftershowparties fanden weit weit weg vom Zeltplatz statt. Und wem alles zu viel war, konnte auch einfach an den benachbarten See gehen. Dieser war der beliebteste Frühstücks- und Auskaterort, an dem wir und andere Festivalgäste die Vormittage verbrachten, bis die ersten Konzerte begannen.
Mein persönliches musikalisches Highlight war die Entdeckung der Band Dwarphs. Es war Freitag Abend und meine Freundin und ich hatten noch keine Gelegenheit gehabt uns in Ruhe umzusehen. Wir waren sehr knapp zum KEØMA-Konzert gekommen, das ich als großer Kat Frankie Fan unbedingt sehen musste, weil wir noch im Hellen unser Zelt aufbauen wollten. Danach standen wir an der großen Burgbühne und beschlossen durch Storkow zu schlendern und zu schauen, was auf dem Marktplatz lief.
Allerdings wurden wir unterwegs schon von ineinanderverschlungenen E-Gitarren-Klängen angezogen. Wir folgten den Tönen bis wir an das besagte Mühlenfließ kamen. Die Sonne war schon untergegangen, der vollbehangene Apfelbaum war in rotem und grünem Licht beleuchtet, auf der kleinen Bühne darunter standen die genau zwei Bandmitglieder der Gruppe Dwarphs und sogen immer und immer mehr Publikum in ihren Bann. Anfangs saßen nur eine Handvoll Leute auf der Wiese, doch bald war diese voll mit Menschen, die sich den mitreißenden Drums hingaben, sei es leicht wiegend oder mit geschlossenen Augen tanzend. Genau das ist es, was großartigen Post-Rock ausmacht: viel Spielraum für das Hineinlegen eigener Emotionen. Keine Lyrics, die vorgeben, was bei diesen Melodien empfunden werden soll, das treibende Schlagzeug lässt keine Zeit, um überhaupt über Interpretationen nachzudenken und die E-Gitarren-Melodien machen Vorschläge in welche Richtung sich die Gedanken wenden könnten. Das schaffen Do Make Say Think (die – nicht im Geringsten objektiv – allerbeste Post-Rock Band der Welt) und halt Dwarphs.
Nach diesem Konzert hat sich das alínæ lumr für mich schon total gelohnt.
Erwähnenswert waren aber auch die Auftritte von Me and My Drummer, Liima und Arbeitsgemeinschaft Form (die zur Hälfte aus den Mitgliedern von Dwarphs bestehen). Begeistert berichtet wurde mir auch von Trucks, Zoot Woman, Pascal Pinon und Sometree, die ich leider nicht sehen konnte. Den schönen musikalischen Abschluss machte die Band Fenster, die wir Samstag Abend auf dem Marktplatz sahen und die schon die zweite Show an diesem Tag spielten. Die internationale Band aus Berlin hat seit 2015 das dritte Album draußen und überzeugte live mit viel viel entgegengebrachter Liebe und melancholischen Klängen, die sie selber als weird pop bezeichnen.
Alles in allem ist für mich hundertprozentig klar, dass ich nächstes Jahr wieder dabei sein werde. Und vermutlich bis dahin kein einziges anderes Festival besuchen werde. Vielleicht haben auch die 35 Grad zur Schönheit des Festivals beigetragen. Oder die Tatsache, dass ich als Helferin ein paar der Organisator_innen und Acts kennen lernen durfte und Free Drinks bekam und mich dadurch eh viel enger mit der Veranstaltung verbunden gefühlt habe. Oder vielleicht waren es auch die Storkow Schnitten, die uns am Sonntag morgen noch mit dem Campingkocher gebraten wurden.
Vielleicht ist aber das alínæ lumr einfach das schönste Dorffest der Welt.
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Weitere Festivalberichte findet Ihr hier.
Sagt nicht, wir haben es Euch nicht gesagt. Denn wir haben es Euch gesagt: geht zum alínæ lumr Festival!