Keine Geheimnisse mehr: Fever Ray live in Berlin | Konzertbericht

Fever Ray Konzert Berlin Konzertbericht MUSIKMUSSMIT

… aber dann kam Fever Ray in ihrem neuen verstörenden glatzköpfigen Alterego und grinste uns erstmal irre an.

Konzert am 28. Februar 2018 in der Columbiahalle in Berlin | Support: Tami T.
Text und Fotos: Friederike Suckert

Im Oktober ging ein Seufzen und Rauschen durch den Indie-Wald: Fever Ray ist zurück! Nach acht Jahren des Darbens haute Karin Dreijer ein verstörendes quietsch-düsteres Coming Out Video raus, das uns etwas ratlos zurück ließ. Aber nicht zu Fever Ray zu gehen ist auch keine Option und so rannten wir kleinen Lemminge mit den doofen Frisuren in der kältesten Nacht des Jahres in die Columbiahalle.

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Sie kam, sah und zog einen Lolli aus der Unterhose

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Den Support Tami T. habe ich leider verpasst, denn die Stadt und die Ampeln waren gegen mich, aber um 21 Uhr stand ich im Fotograben. Die Band war in den Kostümen aus besagtem Video “To the Moon and Back” verpackt, stellten sich vor wie Superheldinnen und wir rätselten, hinter welcher Verkleidung sie wohl steckt,  aber dann kam Fever Ray in ihrem neuen verstörenden glatzköpfigen Alterego und grinste uns erstmal irre an. Roter Glitzer um die Augen, verschmierter Mund und mit dem Statement-Shirt “I <3 swedish girls” haben ihre Queerness zementiert und schon zog sie sich auch den Lolli aus der Hose, schleckte ihn an und warf ihn in die Menge. Hoffentlich hat er niemandem die Haare verklebt, die Leute waren zumindest sofort begeistert. Als die Ladies beim dritten Song zu einer lateinamerikanisch angehauchten Version von “When I grow up” Formation tanzten war klar, dass es die geheimnisvolle Fever Ray, die maskiert und unbewegt eine Stunde auf der Stelle steht, nicht mehr gibt.

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Fröhliche Freaks

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Wer einen Fotopass hat, hat nach den ersten drei Songs meistens keinen so guten Platz, denn sich mit der fetten Kamera durch die Menge zu schieben, macht keine Freund_innen und so landete ich mehr oder weniger hinter einer Säule und einem Zwei-Meter-Mann. Ich konnte leider nicht so gut sehen wie ich es mir gewünscht hätte, die Lichtshow war bombastisch und das Ensemble hatte wahnsinnig viel Spaß. Mit einer feministisch-pornösen Show gab es eine klare humorvolle Ansage gegen den heteronormativen rechten Rollback.

Die Mischung aus altem und neuem Album war perfekt und meine Freund_innen und ich waren erstaunt, wie gut das funktioniert hat. Tatsächlich waren die alten Songs, auch wenn diese teilweise sehr leicht mit Marimba etc. neu interpretiert wurden, wie eine Klatsche aus der Vergangenheit. „Acht Jahre!“ dachte ich im bassigen Elektrowabern: „Vor acht Jahren waren wir komplett andere Menschen! Wenn uns eine_r damals gesagt hätte, was wir jetzt machen, wir hätten gelacht.“ sinnierte ich im Dunkeln. Ich bin immer noch etwas melancholisch und da muss ich „Chapeau!“ sagen: diese Mischung, Leute Salsa tanzen zu lassen und einen komplett in die Vergangenheit zu zoomen mit nur zwei Alben, das ist eine Meisterleistung.

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Fever Ray wirft den Lolli!

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Ob jung oder alt: niemand blieb kalt.

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Wenn du da so doof im Eckchen stehst, dann haste natürlich auch Zeit, das Publikum anzustarren und es war sehr interessant. Superjunge Leute, die vor acht Jahren wahrscheinlich ein Lady Gaga-Hausaufgabenheft hatten und wir ollen Knochen, die immer noch den selben Job haben und Frisuren wie aus der Serie „Hey Arnold!“ waren bester Laune, trotz geringem Platz. Ein Mädchen vor mir ist komplett freigedreht, ich weiß nicht genau, was sie gehört hat, aber hey: tanzen und tanzen lassen.

Nach knapp anderthalben Stunden Hits Hits Hits war die Bühne in Regenbogenfarbenlichtern gehüllt, das war einfach ein großartiges Statement. Ich hab mir noch eine Mütze beim Merch-Stand gekauft und dann ging´s wieder recht beseelt in die Kälte.

Beim Tippen ist mir übrigens aufgefallen, dass ich damals auf dem Berlin Festival Konzert die selben Schuhe anhatte, wahrscheinlich bin ich doch keine so andere Person geworden und darauf jetzt eine Stunde Heavy Rotation „Keep The Streets Empty For Me“.

Friederike

In einer Höhle voller Bücher von Plattensammlern aufgezogen, sozialisiert in idyllischer Randbezirkplatte durch ABBA, Elvis und Nirvana, schulternwippend in die Kaschemmen und Tanztempel der Stadt gewankt, bin ich jetzt graduierte Popnutte. Schon immer eher Beobachterin als Macherin, frage ich, was die Entscheidung für das Künstlerleben so mit sich bringt.

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